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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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noch etwas länger mit seiner Nase über diesem Handrücken verblieben. Richtete sich freilich auf und sagte: »Adieu!«
    Später, in seinem Hotelbett liegend, überlegte er, wie absolut richtig das war, was die Französin ihm erklärt hatte, wieviel unabhängiger und mutiger man in seinen Entscheidungen sein konnte, wenn man durch selbige nur sich selbst gefährdete. Indem er sich aber demnächst – möglicherweise – zu einem Kind bekannte, welches Lana in ihrem Körper trug, würde er sich genau dieser Freiheit berauben.
    Fragte sich, ob denn ernsthaft eine Gefahr bestand. Hier ging es schließlich nicht um den Irak, nicht um Bombencodes oder um die nationale Sicherheit. Auch nicht um den Weltmarkt von Kokain.
    G 7 war keine Droge.
    Wirklich nicht?
    Er dachte nach. Dachte an die freundlichen Angebote, die ihm bislang unterbreitet worden waren. Wie er sein ihm allein gehörendes Unternehmen in eine »unabhängige Tochter« eines der großen Kosmetikhersteller verwandeln oder sich an einem Joint-venture beteiligen könnte.
    Er hatte sich das ein jedes Mal in Ruhe angehört, wie da mit Zahlen jongliert wurde, Zahlen, die mit jedem Satz größer und hübscher wurden, gleich prächtigen, heiratsfähigen Kindern – und sodann dankend abgelehnt. Er hatte sich letztendlich wie einer dieser Kleinbauern verhalten, die ihr Land für kein Geld der Welt hergeben wollen und sich einer Straße oder einem Staudamm entgegenstellen.
    Freilich, all diese Straßen und Staudämme und Supermärkte werden dann trotzdem gebaut.
    War er also ernsthaft in Gefahr? Er fragte sich, ob solche Szenarien nicht eher der Dramaturgie einer Fiktion entsprachen. Romanhaft. Filmreif. – Natürlich, auch wirkliche Menschen wurden umgebracht, ebenjene Kleinbauern. Und selbst Leute in Anzügen kamen hin und wieder unter die Räder. Aber wie weit würde eine Firma gehen, deren freundliche oder auch unfreundliche Angebote nicht fruchteten? L’Oréal, Nestlé und wie sie alle hießen. Waren das wirklich die Mafiabetriebe, als die die Weltverbesserer sie gerne sahen, sich ihr Feindbild mit heftigem Strich ausmalend?
    Nun, der Fehler war wohl, sich die Mächtigen der Welt noch immer als »Bosse« zu denken, Bosse, welche mittels einer kleinen, abfälligen Bemerkung quasi ein Todesurteil unterschrieben. Während sie in Wirklichkeit so waren, wie Audens Namenspatron, Wystan Hugh Auden, sie dargestellt hatte:
    Hell, bis tief in die Nacht
Sind die Fenster
Der Mächtigen, und dort hocken sie tiefgebeugt
Über irgendeinem Erschöpfenden Bericht über dies oder das,
Immerzu, wie ein Gott oder eine Krankheit
Auf dieser Welt, die der große Grund ist, aus dem
Sie so müd sind …
    Es handelte sich um eine Stelle aus W.H. Audens Gedicht Die Manager . Chens Eltern hatten es ihm oft vorgelesen, wie andere Kinder Gutenachtgeschichten von Bären und Hasen und melancholischen Monstern erzählt bekommen. So war der kleine Chen nicht nur mit der englischen Sprache aufgewachsen, sondern auch mit poetischen Bildern, die fern dem Kindlichen standen. Ja, man konnte sagen, die poetischen Bilder eines schwulen, linken, letztlich auch noch katholischen Pulitzer-Preisträgers hatten Chen durch die Kindheit begleitet und seine Phantasien angeregt. Nicht, daß er alles verstanden hatte. Aber er hatte auch nicht alles von Alice im Wunderland und Horton hört ein Hu! verstanden oder in dem dicken Buch mit den chinesischen Märchen. Nicht alle Geschichten im Leben und im Buch waren so einfach gestrickt wie bei diesen Jungs, die sich Die drei Fragezeichen nannten.
    Manche Dinge mußte man erst einmal fühlen und ahnen und riechen und schmecken und sich vor ihnen fürchten, bevor man sie irgendwann begriff.
    Wenn er an die Mondlandung der Amerikaner dachte, dann weniger an das berühmt-vertrottelte Gleichnis vom kleinen und vom großen Schritt, sondern vielmehr an W.H. Audens Aussage, daß es sich hierbei um einen »Phallus-Triumph« der »Boys« gehandelt habe und daß »vom Augenblick an, da der erste Stein beschabt wurde, diese Landung nur eine Frage der Zeit war«. – War ein beschabter Stein nicht ein ungleich stärkeres Bild als besagter Fußabdruck im schwarzweißen Staub?
    Nach W.H. Auden waren die Mächtigen also müde von der großen Welt, die sie beherrschten.
    Freilich, auch müde Menschen unterschrieben Todesurteile. Wenngleich längst nicht mehr auf den Rückseiten von Spielkarten. Heutzutage ging es profaner und pragmatischer zu. Doch diese gewisse Blässe der

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