Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
wollen«, sagte der Feind. »Stört mich nicht. Und hören wird es sowieso niemand.«
Das klang überzeugend. Wir befanden uns auf einer Intensivstation. Ich wusste zwar, dass diverse Leute bei Tag wie bei Nacht kamen und gingen, in den Zimmern und auf den Gängen weinten und kreischten, und dass sie trotz der Proteste lautstark piepender Monitore Herzstillstände erlitten. Ich hatte jedochdavon noch nicht viel gehört, denn wenn die Glastür zuglitt, machte sie mein Zimmer zu einem Kokon der Stille.
»Gab mal eine Zeit, da haben sie die Patienten nur durch Vorhänge voneinander getrennt, damit die Ärzte die Signale aller Maschinen hören konnte«, sagte Jennings. »Das wurde vor ein paar Jahren geändert. Jetzt ist es hier so gut wie schalldicht, damit ihr Patienten einander nicht beim Sterben zuhören müsst. Wenn sich eine Unregelmäßigkeit einstellt, schickt Ihr Monitor eine SMS an die iPhones der Ärzte. Wirklich erstaunlich.«
»Ich brauche nicht zu schreien«, sagte ich ihm. Hätte es auch gar nicht gekonnt, denn mein Mund fühlte sich an wie von Wattebäuschen verstopft.
Mein Blick schnellte neben das Kopfkissen zu dem Knopf, mit dem ich eine Schwester rufen konnte. Aber Jennings bemerkte es und drohte mit dem Finger.
»Buck, es gibt zwei Möglichkeiten, diese Sache zu erledigen: eine sanfte und eine harte. Wenn in diesem Zimmer eine Extraleiche liegt, sobald ich fertig bin, werde ich auch diesen Mord aufs Konto Ihres Enkels schreiben.
Da niemand zugegen war, der etwas anderes zu bezeugen wusste, könnte er damit vielleicht sogar durchkommen.
»Ich hab ja gar nicht vor, eine Schwester zu rufen, damit sie mich rettet«, sagte ich. Meine Stimme brachte kaum mehr ein Flüstern hervor, höchstens noch ein Kratzen.
»Gut«, sagte Jennings. Er nickte mir zu. »Würde wohl auch nicht so ganz zur Legende des Buck Schatz passen, oder?«
Ich sah ihn böse an. Er griff in seine Jackentasche und holte eine Spritze hervor.
»Sie lassen mich das hier in Ihren IV-Zugang spritzen, und das wäre dann der sanfte Weg. Was da drin ist, wird auf einem Giftstoff-Screening nicht zu erkennen sein. Ebenso wenig bei Ihrer Autopsie. Sie schlafen ganz ruhig ein, und das wär’s dann: ein alter Mann, der eines natürlichen Todes gestorben ist. Darin liegt Würde. Und Frieden. Ein schöneres Ende kann ich mirnicht vorstellen. Aber wenn Sie versuchen sollten, sich zu wehren, nehme ich mein Messer und richte ein Blutbad an. Hat nämlich keinen Sinn, Ihnen die Nadel mit Gewalt zu verpassen, wenn das Resultat ist, dass Sie danach zerquetscht aussehen wie verfaultes Obst und sowieso jeder gleich merkt, dass es Mord war.«
»Besteht auch die Möglichkeit, nicht zu sterben?«
Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich Sie lebend zurücklasse, werden Sie sich so schnell wie möglich an meine Fersen heften. Das wissen wir beide. Sie und ich würden uns nie auf einen Handel einigen. Ich kann Sie mit nichts anderem zum Schweigen bringen als mit dieser Nadel. Solange Sie leben, müsste ich vor Ihnen auf der Hut sein. Stimmt’s, Buck?«
Es stimmte. Irgendwo unter meiner Schädeldecke stieß mein detektivischer Urinstinkt jetzt einen Schlachtruf aus. Aber da war auch eine kampfesmüde Seite, die nichts wissen wollte von monatelanger schmerzvoller Genesungszeit, die nicht vor die Tore der Valhalla Estates zu treten beabsichtigte und von degenerativen kognitiven Beeinträchtigungen nichts hören wollte.
Jennings legte die Hand auf meine und berührte die Stelle, wo der IV-Zugang in der Vene steckte. »Also, wie sollen wir vorgehen?«
»Wie viel Zeit habe ich für meine Entscheidung?«, fragte ich und zog meine Hand zurück.
»So viel Sie wollen. Ich hab nichts vor.«
Wir saßen einige Zeit stumm da und sahen einander an. Ich hustete laut.
»Wann haben Sie es herausgefunden?«, fragte ich ihn. Keine Verhandlungen. Keine Deals. Keine Tricks. Nur zwei Profis, die miteinander sprachen.
»Was? Das mit dem Gold?«
»Ja.«
Er musste natürlich schon davon gewusst haben, als ich es übergab. Er hatte wegen des Goldes bereits drei Menschen umgebracht.Er musste ebenso lange davon gewusst haben wie ich. Und ich hatte gedacht, er sei nicht eingeweiht. Ich hatte ihn nicht einmal in Verdacht gehabt.
»Norris Feely hat Sie an dem Tag verfolgt, als Sie runter zum CJC gefahren sind und ich Sie zum ersten Mal getroffen habe. Er schnüffelte hinter Ihnen her, als Sie wieder weg waren, wollte herausfinden, was Sie vorhatten. Er hat so gut wie alles
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