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Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Titel: Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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freundliche Dinge zu sagen«, bemerkte ich. Und als er nichts erwiderte: »Ich vermute, Sie sind der Auffassung, das Geld müsse Ihnen zufließen.«
    »Der Kirche«, sagte er. »Um die göttliche Mission Christi zu fördern.«
    Kinds Interesse hatte gewiss nur wenig damit zu tun, Jims Wünsche zu realisieren. Ich hörte persönliches Begehren in seinem Tonfall mitklingen und sah es in den bebenden Winkeln seines lüsternen rosa Mundes. Er lechzte nach Geld.
    »Ich weiß nicht, ob es überhaupt Gold gibt oder wo es sich befinden könnte«, sagte ich dem Geistlichen. »Norris Feely weiß es auch nicht, und Jim Wallace wusste es ebenso wenig. Wozu brauchen Sie das Geld eigentlich? Ihre Kirche ist sehr eindrucksvoll.«
    Er sah mich an. Seine Augen flackerten, und was er mir sagte, hörte sich an wie die Wahrheit. »Kirchen werden errichtet vom Zehnten der Gemeinde und durch die Gnade Gottes, aber sie werden auch auf Kredit gebaut. Gott muss die Hypotheken abbezahlen wie jeder andere auch, oder besser gesagt, ich muss es, und jetzt hat Gott mich zu Ihnen geschickt, Buck Schatz.«
    Ich durchschaute den Tonfall und durchschaute auch den Gesichtsausdruck. In Kinds glasigen rosa Augen sah ich jene hoffnungsleere Resignation, die irgendwann dutzende, ja, hunderte Gesichter von Verdächtigen überschattete, nachdem ich sie beim Verhör in die Mangel genommen hatte. Gleich würde er mir etwas gestehen. Die Leute hatten mir schon von jeher gern gestanden. Ich sagte ihnen stets, dass ich ihnen nicht helfen konnte. Ich war immer ehrlich zu ihnen. Aber sie schütteten mir trotzdem das Herz aus.
    Mir wäre es sehr recht, wenn Kind den Mund hielte. Welche Probleme er auch haben mochte, ich für meinen Teil wusste nicht, warum sie mich kümmern sollten. »Doktor Kind, ich weiß Ihre Arbeit fürs Gemeinwohl zu schätzen und ebenso die Gastfreundschaft Ihrer Kirche, als wir der Trauerfeier beiwohnten, aber leider kann ich nichts für Sie tun.«
    »Bitte, Mister Schatz, ich bin der Versuchung anheimgefallen. Ich habe hohe Schulden bei den Casinos in Mississippi, und ein Teil des Geldes, das ich denen in den Rachen warf, gehörte der Kirche.« Kind schluckte seinen Schluchzer. »Mir steht das Wasser bis zum Hals. Sie müssen mir helfen.«
    Er presste den Handrücken gegen die Stirn und bot ein Bild des Jammers. So meinte er anscheinend, glaubhaft ausdrücken zu können, wie grenzenlos sein Bedauern war. In den Köpfen vieler Menschen nehmen ihre öden und kindischen Probleme allzu häufig Shakespeare’sche Ausmaße an. Dieser verkommene Mensch besaß keinen Funken Selbstkontrolle – die älteste Geschichte der Welt. Noch mal musste ich sie mir nicht anhören.
    Verzweifelte Menschen meinten immer, ich müsse ihnen helfen. Aber ich musste ihnen nicht helfen. Die Zeit, in der ich mir Geständnisse anhören musste, liegt hinter mir, und selbst als ich noch in dem Geschäft war, handelte ich als Instrument der Bestrafung und war nicht dafür zuständig, Absolution zu erteilen. Aber schuldige Menschen neigten häufig zu der Annahme, dass ich hinter meiner schroffen Fassade so etwas wie ein Softie war. Jeder Säufer, der seine Freundin totgeschlagen hatte, jeder Junkie, der für den nächsten Schuss jemanden umgebracht hatte, jeder arrogante Arsch, der meinte, er könne eins seiner Probleme im Mississippi versenken; allesamt glaubten sie, ihre Lage sei in mildernde Umstände gebettet, und mir würden bestimmt die Tränen kommen, wenn ich von ihrer Seelenpein hörte. Wenn sie bereits mit einem Bein über den Abgrund hinaus waren, gestanden sie Buck alles und unterwarfen sich meiner Gnade.
    Sie dachten, ich würde verstehen. Und vielleicht hatten sie Recht. Vielleicht verstand ich. Aber ich vergab ihnen nicht.
    »Raten Sie mir, was ich tun soll, Mister Schatz«, sagte Lawrence Kind.«
    Ich legte ihm eine freundliche Hand auf die Schulter. »Vielleicht sollten Sie beten.«
    Dann schlug ich ihm die Tür vor der Nase zu und ging wieder ins Bett.
    »Was war denn da los?«, fragte Rose im Halbschlaf.
    »Wenn du das nächste Mal neue Freundschaft schließen möchtest, lass mich aus dem Spiel«, erwiderte ich.

11
    Ungefähr sieben Stunden später schlürfte ich meinen Kaffee und warf einen Blick in die Zeitung, als der größte Russe, der mir je unter die Augen gekommen war, an der Haustür auftauchte und erklärte, er wolle mich kennenlernen.
    Er brauchte nicht zu läuten, wie Kind es getan hatte. Er schlug einfach mit der fleischigen Faust gegen die

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