Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
den Schreck wegzukommen, könnte ich gut eine rauchen.«
Er schloss die Augen und rieb sich die Schläfen. »Ich habe nicht gesagt, dass Sie sterben. Es ist schwierig, den Unterschied zwischen der prä-klinischen Phase von Alzheimer und dem normal funktionierenden Gehirn eines siebenundachtzigjährigen Patienten festzustellen. Medikationen, die üblicherweise bei Demenz zum Einsatz kommen, können außer Hautblutungen auch Blutungen der Magenschleimhaut verursachen, was in Verbindung mit den Blutverdünnungsmitteln, die Sie einnehmen, zu Problemen führen könnte.«
Ich betrachtete den sich ausdehnenden lila Fleck auf meinem Arm. An der Stelle hatte die Schwester mir Blut abgenommen.
»Sie erzählen mir, dass ich Alzheimer habe und Sie nichts dagegen unternehmen wollen?«
»Das sage ich überhaupt nicht. Die kürzliche Episode kann durchaus durch Dehydration ausgelöst worden sein. Vergessen Sie nicht, dass die Pillen, die Sie nehmen, auch diuretisch wirken. Aber selbst wenn Sie unter dem Frühstadium einer Demenz leiden sollten, wird es sechs bis acht Jahre dauern, bis die Krankheit so weit fortgeschritten ist, dass sie signifikante Beeinträchtigungen verursacht. Patienten Ihrer Altersgruppe müssen sich eher auf akute Gesundheitsgefahren einstellen, als da sind:Komplikationen nach einer Erkältung oder Grippe, Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Verletzungen durch häusliche Unfälle. Gebrechliche Patienten unter komplizierter Medikation sind äußerst anfällig, was Unverträglichkeit von verschiedenen Medikamenten betrifft, und deswegen möchte ich Ihnen nicht noch weitere Pillen verschreiben.«
Das war es also. Ich war zu alt, um noch einer Behandlung wert zu sein. Ich war innerlich so morsch, dass eine steife Brise mich umwehen konnte wie einen durchgerotteten Baum.
»Hören Sie«, sagte der Doktor. »Viele Studien zeigen auf, dass ganz simple Übungen zur Schärfung des Geistes sich als sehr wirksam erweisen können, wenn es darum geht, die Progression der leichten Demenz hinauszuzögern.«
Ich kreuzte die Arme. »Ich bin langsam zu alt für Freiübungen.«
»Nein. Ich möchte, dass Sie sich die Mühe machen, es mit Rätselraten zu versuchen, mit Kreuzworträtseln oder Sudoku.«
»Sudoku?«, fragte ich. »Hört sich japanisch an.«
»Äh, ist es. Und es hat was von einem Gitternetz. Mit Zahlen.«
»Ich sag Ihnen was: Ich seh mir mal so ein Kreuzworträtsel an.«
»Gut, gut. Und Sie sollten auch versuchen, ein Notizbuch bei sich zu haben und die Sachen aufzuschreiben, die Sie nicht vergessen wollen. Viele Experten sind der Ansicht, dass jede bewusste Anstrengung, sich an etwas zu erinnern, den Gedächtnisverfall verlangsamt.«
Ich war über seine Vorschläge nicht erfreut. »Kommt mir vor wie ’ne Menge Nichtstun«, sagte ich zu ihm. »Placebo-Effekt oder so.«
»Führen Sie das Notizbuch, Buck. Meiner Ansicht nach bleiben Ihnen nur zwei Möglichkeiten. Sie können sich entscheiden, mir zu vertrauen oder nicht.« Er schmunzelte. »Und lassen Sie mich etwas zur Paranoia sagen …«
Ich blickte in den Rückspiegel, als der Honda durch den Schatten eines Baumes fuhr. Einen Moment lang erlosch das Gleißen auf der Windschutzscheibe. Auf dem Fahrersitz sah ich eine unförmige Gestalt, die Norris Feely hätte sein können.
Ich bog wieder links ab. Und der Honda auch. Wenn ich immer weiter abbog, um ihn loszuwerden, hätte ich es wahrscheinlich bald geschafft, mich wieder zu verfahren. Ich schaltete mein Warnlicht ein und hielt am Straßenrand. Mein Schatten fuhr vorbei, gelenkt von einer stämmigen Frau.
Kein Verfolger, oder zumindest hatte mich der Wagen nicht verfolgt. Eigentlich konnte ich schon immer meinen Instinkten vertrauen. Ich zog das Notizbuch aus meiner rechten Brusttasche und trug das Kennzeichen des roten Pkw ein.
Dann blätterte ich zurück zur ersten Seite. Dort hatte ich geschrieben:
»Etwas, das ich nicht vergessen will: Der Doktor sagt, Paranoia ist ein frühes Symptom der Demenz.«
Ich überlegte einen Moment und strich dann die Notiz zu dem Honda aus.
Was ich nicht vergessen will:
So wie sich die Leute über das Nazigold zu ereifern schienen, und das nach sechzig Jahren, musste ich mich fragen, wo jemandem wie Ziegler ein solcher Schatz in die Hände gefallen sein mochte. Wie sich herausstellte, hatte Hitlers Führung, als die Juden Europas in die Gettos und die Vernichtungslager getrieben wurden, deren sämtliche Besitztümer beschlagnahmt. Der Genozid ist, so scheint es,
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