Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
mit den Blutergüssen und sie hat so spröde Knochen.
Wir machten schon was her, als ihr Haar noch wie schwarze Seide glänzte und ihre Haut weich war, damals, als meine Wirbelsäule gerade war und mein Kinn energisch. Als ich stark genug war, mich mit Waffen und Fäusten jeder Bedrohung entgegenzustellen; als ich stark genug war, sie zu beschützen, und stark genug, sie nicht nur auf die sanfte Tour zu lieben.
Derartige Bedürfnisse hatte ich nicht mehr, aber Rose brauchte ich immer noch. Ich konnte es nicht ertragen, allein mit dem Fernseher im Haus zu sein. Nachdem ich sie vierundsechzig Jahre lang ununterbrochen um mich gehabt hatte, erschreckte mich die Vorstellung von Stille und Leere über alle Maßen. Und sie zählte meine Pillen ab. Sie sorgte dafür, dass ich zu essen bekam. Sie hatte alle Geburtstage im Kopf ebenso wie bevorstehende Begräbnisse. Kannte Telefonnummern und wusste, was auf Einkaufszetteln stand, Sachen, die sich in meinen Hirnwindungen verirrten wie kleine Boote im Nebelmeer. Sie behielt all das, was ich nicht für erinnernswert hielt, ebenso wie das, was ich mir unbedingt merken wollte, aber trotzdem vergaß. Ich wusste, dass ich ohne sie nicht funktionierte. Keine Überlebenschance besaß.
Ich wusste nicht einmal, wie man unsere Kaffeemaschine bediente.
Der Arzt, unser Hausarzt, kam durch die Gleittür, die sich mit einem Klicken hinter ihm schloss. Schlaflosigkeit hatte seine Augen gerötet, und ich wusste, dass er nur unseretwegen ins Krankenhaus kam. Ich blickte auf den Schirm des tonlosen Fernsehers. Es war frühmorgens, zwei Uhr dreiundvierzig.
Ich nickte ihm zu. »Danke, dass Sie gekommen sind, Doc.«
»Hören Sie«, sagte er, »ich möchte Sie nicht zu sehr beunruhigen. Ich denke, sie befindet sich nicht mehr in akuter Gefahr.«
Ich stieß einen ewig langen Stoßseufzer aus und wischte mir mit dem Ärmel über die Augen. Der Mann musste meine Tränen ja nicht sehen.
»Sie hat sich mehrere Rippen angebrochen«, sagte er. »Da ist nichts zu machen. Es wird ein paar Wochen lang schmerzen. Ich kann ihr etwas geben, um die stärksten Schmerzen zu lindern. Sie sollte auf jeden Fall nicht so viel durch die Gegend laufen.«
»Okay«, sagte ich.
»Sie muss wohl mit dem Kopf aufgeprallt sein. Möglicherweise eine leichte Gehirnerschütterung. Es könnte sein, dass sie sich während der nächsten Tage leicht verwirrt zeigt. Normalerweise würde ich sie für eine Weile zur Beobachtung hier behalten, aber ich befürchte, das Krankenhaus ist für Sie beide kein sicherer Ort.«
»Ja«, sagte ich. »Würde Steinblatt auftauchen, säßen wir hier in der Falle.«
Der Doktor sah mich schräg an und beschäftigte sich mit seinem Klemmbrett. »Eigentlich war ich eher besorgt, dass Sie sich hier im Krankenhaus infizieren oder einer übertragbaren Krankheit aussetzen könnten. Das geschieht häufig bei älteren Patienten, weil deren Immunsystem im Laufe der Jahre schwächer wird. Daher möchte ich Sie, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, nicht hierlassen.«
»Verstanden.«
»Wenn sie am Morgen aufwacht, wird sie Schmerzen haben, aber sie müsste eigentlich bei klarem Verstand sein, und wenn alles okay ist, können wir sie nach Hause entlassen. Sie sollte jedoch eine Weile das Bett hüten.«
Ich ließ ihre Hand los und legte sie sanft neben sie.
Der Doktor legte sein Klemmbrett beiseite. »Buck, ich muss mit Ihnen darüber sprechen, wie es zu dem Sturz kommen konnte. Das ist für die Behandlung eines geriatrischen Patienten äußerst wichtig.«
»Sie ist in der Küche ausgerutscht«, sagte ich, straffte meineSchultern und wappnete mich gegen mögliche Vorwürfe. »Es hätte jedem passieren können. Sie haben ja eben selbst gesagt, Sie wollen sie morgen nach Hause entlassen.«
»Jede noch so kleine Verletzung kann die Beweglichkeit reduzieren oder schmerzhaft machen, und das wiederum kann geradezu eine Lawine weiterer Gesundheitsprobleme auslösen. Der erste Sturz erhöht nämlich drastisch die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen und folgenschwereren Sturzes innerhalb der nächsten zwölf Monate.«
»Sie wird doch aber wieder in Ordnung kommen?«, fragte ich.
»Wie John Maynard Keynes sagte: Auf lange Sicht werden wir alle mal sterben.«
Ich rieb mir wieder die Augen. »Unsere lange Sicht ist bereits viel länger als die normaler Leute. Und das noch ohne Fernglas.«
Der Doktor seufzte. »Versuchen Sie einmal, es aus meiner Sicht zu betrachten. Rose hat Schwierigkeiten mit dem
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