Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
Gleichgewicht, Probleme, sich innerhalb des Hauses fortzubewegen. Bei Ihnen kommt es zu Episoden der Verwirrung. Was heute Abend geschah, hätte viel schlimmer ausgehen können. Wäre Rose hart auf der Hüfte gelandet, hätte die Folge sein können, dass sie von jetzt auf einen Rollstuhl angewiesen wäre. Und wenn sie härter mit dem Kopf aufgeschlagen wäre, könnte sie jetzt tot sein.«
Ich schnaubte. »Viele schlimme Dinge hätten uns im Laufe der vergangenen neun Jahrzehnte zustoßen können.«
»Bisher habe ich nicht davon gesprochen, dass Sie ihre Selbstständigkeit etwa einschränken sollten, denn Sie kommen ja mit der Einteilung Ihrer Medikamente sehr gut zurecht. Aber allein könnten weder Sie noch Rose sich ausreichend behelfen, und sogar gemeinsam sollten Sie sich fragen, wie lange Sie beide noch in Ihrem Haus wohnen können.«
»Wir haben drei Ärzte vor Ihnen in unserem Haus überlebt.«
»Wortgefechte mit mir ändern auch nichts an Ihrer Situation«, sagte er und fixierte mich über seine Drahtgestellbrille.»Es gibt eine Menge ausgezeichneter betreuter Wohnstätten, die hochwertige Pflege und eine durchaus erträgliche Umgebung bieten.«
»Auf diesen ganzen Bockmist würde ich lieber verzichten und auf direktem Weg in mein Grab umziehen.«
»Wir sollten beide bedenken, dass sich eine solche Situation durchaus ergeben könnte«, sagte der Doktor.
»Lecken Sie mich doch …«, forderte ich ihn auf.
Seine Unterlippe zitterte. »Ich will nur sichergehen, dass Sie mich gehört und auch verstanden haben«, sagte er mit leiser und bebender Stimme.
»Nein, ich will sichergehen, dass Sie mich verstanden haben«, sagte ich.
»Es gibt bestimmte Realitäten …«
»Lecken Sie mich doch!«, wiederholte ich.
»Nein. Es gibt bestimmte Realitäten, vor denen man die Augen nicht verschließen kann, die auch mit den schlimmsten Drohungen nicht aus der Welt zu schaffen sind und die man nicht kleinkriegt, so sehr man auch auf sie eindrischt. Ich habe die Diskussion über diese Dinge aufgeschoben, weil ich wusste, dass Sie sich aufregen würden. Aber die Pöbeleien werden Sie nicht davor bewahren, sich Ihren Grenzen zu stellen, und wenn noch mal etwas passiert, sollten Sie besser an einem Ort sein, an dem auf Notfälle dieser Art direkt reagiert werden kann. Ich versuche nur zu tun, was das Beste für Sie ist, Buck. Und das Beste für Rose.«
Ich sah ihn an.
»Ja, ich weiß«, sagte er. »Ich soll Sie am Arsch lecken.« Er wandte mir den Rücken zu und ging. Die Glastür glitt hinter ihm zu und klickte leise.
Ich sah auf den letzten Eintrag in meinem Merkheft. Es war ein Satz, den Cutter, der Nachfolgepriester, bei Kinds Trauerfeier gesagt hatte.
»Einsam und allein im Dunkeln, wenn uns die schlimmste Furcht erfasst, müssen wir dem Feind ins Auge sehen.«
20
Als ich am nächsten Morgen erwachte, lag ich auf der Kunstledercouch in Roses Krankenzimmer. Sie war wach, schlürfte einen Orangensaft und las im Commercial Appeal , der Tageszeitung von Memphis.
Tequila und seine Mutter Fran warteten ebenfalls.
»Ich bin so weit, von hier zu verschwinden, aber ich wollte deinen Schönheitsschlaf nicht stören«, sagte Rose zu mir.
Mit blau unterlaufenen Handrücken rieb ich mir die Augen.
»Wenn du nicht so verdammt ungeschickt wärst, hätten wir hier gar nichts zu suchen gehabt«, bedeutete ich ihr.
Eine Stunde später lag das Krankenhaus hinter uns. Fran hatte sich bereiterklärt, Rose für die nächsten paar Tage bei sich unterzubringen, weil ich nicht kräftig genug war, meine Frau ins Bett und wieder heraus zu heben. Tequila würde bei mir bleiben, damit ich nicht allein war. Rose hatte ihn bereits unterwiesen, wie meine Pillen abgezählt werden mussten und den Verzehr welcher Nahrungsmittel er mir nicht gestatten durfte.
Wir bugsierten Rose behutsam auf den Beifahrersitz in Frans kleinem japanischen Auto und falteten den Rollstuhl, den sie vom Krankenhaus bekommen hatte, um während ihrer Genesungszeit mobil zu sein. Tequila verstaute ihn im Kofferraum. Ich mochte keinen Blick darauf werfen
Rose und ich hatten während der letzten zwanzig Jahre keine einzige Nacht getrennt verbracht, und mir kam die jetzige Planung etwas gefühllos vor, aber wenn sie nicht vorhatte, es anzusprechen, würde ich mich hüten, es zu tun. Ich schnallte mich auf dem Rücksitz an. Zwar vertraute ich Frans Fahrkünsten,hätte es aber vorgezogen, selbst das Steuer in der Hand zu halten.
»Wenn Rose sowieso bei dir bleibt,
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