Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
abends um sieben, um das Kaddisch, das Trauergebet, zu sprechen.
Um ein Elternteil oder ein Kind muss ein jüdischer Mann ein Jahr lang trauern, und es ist die Pflicht eines Sohnes, zum Minja zu gehen und Gottes Namen zu preisen. Tequila hätte stattdessen lieber gegen die himmlischen Mächte gewütet, und während er pflichtgemäß den Geboten folgte, schien er über die Traditionen, die ihm diese Zwänge auferlegten, maßlos verärgert zu sein. Soweit ich weiß, hat Tequila nach der Erfüllungseiner Trauerpflichten nie wieder einen Fuß in eine Synagoge gesetzt.
Nach den Gottesdiensten pflegte er übellaunig und zornig ins Haus seiner Mutter zurückzukommen und einen Spießrutenlauf zwischen den Kondolenzbesuchern zu absolvieren, bevor er sich dann in seinem Zimmer einschloss. Der Sinn der Schiwa-Woche besteht darin, dass Freunde erscheinen, um den Hinterbliebenen in der schwierigen Zeit zur Seite zu stehen, aber jüdische Menschen fühlen sich stets zu Orten hingezogen, wo es gratis zu essen gibt, und daher füllt sich das Haus der Trauer unweigerlich mit Fremdlingen. Die Tage bringen kaum noch Trost, sondern werden zur Last.
Am dritten Tag hörte Tequila irgendwo zwischen der Haustür und der Tür zu seinem Schlafzimmer jemanden etwas sagen, das ihm gar nicht gefiel. Nun, Ehrfurcht vor den Verblichenen war noch nie die starke Seite der Familie Schatz, aber gewöhnlich bringen wir hinreichend Anstand auf, um unsere Witze nur dann zu reißen, wenn sich die Trauernden außer Hörweite befinden. Und vielleicht suchte Tequila auch nur nach einem Vorwand, um es an jemandem auszulassen.
Also versetzte Tequila dem Kerl Faustschläge, bis er zu Boden ging. Dann trat er ihn, bis er nicht mehr versuchte, sich aufzurappeln. Und dann ging er in die Küche und suchte nach einem Messer. Aber Freunde griffen ein und schleppten Tequila an einen Ort, wo er sich beruhigen musste, während andere Gäste den verletzten Mann aus dem Haus brachten.
Trotz aller Schlüsse, die Randall Jennings vielleicht ziehen wollte, wusste ich, dass mein Enkel ein guter Junge war. Aber bei unvoreingenommener Betrachtung der Lage hätte ich wohl einräumen müssen, dass die Sichtweise des Detective nicht unangemessen war.
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Ich rief Tequila an, um ihn zu bitten, uns abzuholen. Sein Mobiltelefon klingelte sechs Mal und dann schaltete sich die Voicemail ein. Ich versuchte es auf dem Festnetz, aber niemand antwortete.
Freunde nahmen uns schließlich mit und setzten uns zu Hause ab. Die Vordertür war abgeschlossen, die Alarmanlage aktiviert, der lila Volkswagen stand immer noch in der Auffahrt und Tequila war verschwunden.
Ich überprüfte sorgfältig alle Fenster und konnte kein Zeichen für ein gewaltsames Eindringen entdecken. Um die Trittleiter zum Bodenraum hinaufzuklettern und nach dem Gold zu sehen, fehlte mir die Kraft, aber nichts deutete darauf hin, dass jemand dort oben gewesen war. Ich rief nochmals Tequilas Mobiltelefon an: keine Antwort. Ich rief seine Mutter an. Sie wusste nicht, wo er war. Ich durchsuchte jedes einzelne Zimmer im Haus. Weder Notiz noch Nachricht von ihm. Kein Anzeichen eines Handgemenges. Meine .357 fehlte.
Ich setzte mich aufs Sofa. Vielleicht hatte Jennings gelogen und seine Leute geschickt, Tequila abzuholen, während ich noch am Tatort war. Sie hatten die Waffe auf meinem Nachttisch gefunden und als Beweismaterial mitgenommen.
Vielleicht hatte er gemerkt, dass es ernst wurde, und war geflohen. Aber ich war von seiner Unschuld überzeugt, und ein solches Verhalten schien nicht zu einem Unschuldigen zu passen.
Es war auch möglich, dass der wahre Mörder ihn erwischt hatte. Im Haus war zwar nichts durcheinandergebracht, aberauch keines der anderen Opfer hatte sich zur Wehr gesetzt. Tequila verschwinden zu lassen wäre der letzte logische Schritt, wenn man die Schuld auf ihn schieben wollte.
Der Gedanke, dass der Mörder sofort hierher gekommen war, nachdem er Steinblatt umgebracht hatte, war einleuchtend. Wenn man einem Unschuldigen etwas in die Schuhe schieben wollte, war es lästig, wenn derjenige nicht nachließ, sich reinwaschen zu wollen und auf seiner Unschuld beharrte. Da Tequila zum selben Zeitpunkt verschwand, als Steinblatt aufgeschlitzt wurde, musste ein außenstehender Beobachter annehmen, dass Tequila den Job erledigt hatte und dann geflohen war. Die Polizei würde sein Verschwinden als Schuldeingeständnis werten und keiner anderen Spur mehr nachgehen.
Tequila könnte irgendwo verscharrt
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