Der Altman-Code
dunklen Augen sprach unverhohlener Argwohn. Sie hatte schulterlanges braunes Haar und ein süßes jungenhaftes Gesicht, hinter dem sich, fand Smith, ein scharfer Verstand und eine gehörige Portion Draufgängertum verbargen.
»Was für ein neues Virus ist in Hongkong gerade aufgetreten, Colonel?«
»Keines. Aber in der Volksrepublik gibt es eines, mit dessen Erforschung sich die medizinische Abteilung von Donk & LaPierre befasst«, log er. »Und darüber würde die Regierung gern mehr wissen.«
»Welche Regierung?«, hakte Tommie Parker misstrauisch nach.
»Das ist das Einzige, was ich bei Jon sicher weiß«, schaltete sich an dieser Stelle Randi ein. »Er steht auf unserer Seite.« Smith wollte schon mit einer Spitze seinerseits kontern, als sich Baxter, der vierte Agent aus dem Buick, durch die offene Tür der Krankenstation beugte. »Wir kriegen gerade was über die Wanze rein, die wir gestern Abend in McDermids Telefon angebracht haben. Er hat einen Anruf bekommen.« Sie sprangen hoch und rannten auf den Flur hinaus und in ein Zimmer, das voll gepackt war mit elektronischen Geräten und Instrumenten. Randi und Smith zwängten sich an den anderen vorbei und blieben vor einem Notebook stehen, aus dessen Lautsprecher eine Frauenstimme mit einem leichten Akzent drang. »Sind Sie Ralph McDermid?«
31 Seit der Rückkehr in sein Penthouse-Büro hatte Ralph McDermids Stimmung zwischen Besorgnis und Wut gependelt. Während er an einem neuen Vertragswerk arbeitete, um eine angeschlagene asiatische Investmentfirma in Hongkong zu übernehmen, kehrten seine Gedanken zu dem morgendlichen Debakel mit Jon Smith und der Frau zurück. Er war wütend auf sich, dass er sich von der Frau, die vermutlich gar keine Russin war und sicher niemand, der an Geschäften interessiert war, so leicht hatte hereinlegen lassen, und wütend auf Feng Dun, dass er Smith unterschätzt hatte.
Trotzdem war noch kaum etwas verloren. Die beiden waren zwar entkommen, und Jon Smith war zweifellos gefährlich, aber dennoch war so gut wie kein Schaden entstanden. Smith hatte nach wie vor keine Beweise, dass die Empress verbotene Chemikalien geladen hatte. Irgendwann würde Feng ihn aufspüren und töten – dafür standen ihm sogar hier in Hongkong die nötigen Mittel zur Verfügung.
Diese Überlegungen bauten ihn auf. Als das Telefon läutete, meldete er sich mit üblicher weltmännischer Gewandtheit. »Ja, Lawrence?«
»Eine Dame, Sir. Auf Leitung zwei. Sie hört sich ziemlich jung an, und … äh … attraktiv.«
»Eine Dame? Und möglicherweise attraktiv? Na, na.« Er erwartete keine Anrufe von irgendeiner »Dame«, und das stimmte ihn noch optimistischer. »Stellen Sie sie durch, Lawrence, stellen Sie sie durch.« Als ob ihn die Anruferin sehen könnte, rückte er seine Krawatte zurecht, ihre Stimme kam in leicht holprigem Englisch aus dem Hörer. »Sind Sie Ralph McDermid?«
»Ich bekenne mich schuldig, meine Teuerste. Kennen wir uns?«
»Möglicherweise. Sie sind Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der Altman Group?«
»Ja, ja. Das bin ich.«
»Zu Ihrem Konzern gehört auch Donk & LaPierre?«
»Uns gehören zahlreiche Firmen. Aber was …?«
»Wir haben uns noch nicht kennen gelernt, Mr. McDermid, aber ich glaube, dieses Vergnügen werden wir bald haben. Zumindest im übertragenen Sinn.« McDermid spürte, wie seine schlechte Laune zurückkehrte. Das hörte sich nicht nach einer Frau an, die ihn um ein Rendezvous bitten wollte. »Wenn es sich hier um etwas Geschäftliches handelt, Madam, muss ich Sie bitten, in meinem Büro anzurufen und einen Termin zu vereinbaren. Falls Ihr Interesse speziell Donk & LaPierre gilt, würde ich vorschlagen, sich mit der Firma direkt in Verbindung zu setzen. Guten Tag …«
»Wir interessieren uns für die Dowager Empress , Mr. McDermid. Glauben Sie mir, Sie wären gut beraten, mit uns zu verhandeln.« McDermid zog die Augenbrauen hoch. »Was?«
»Die Empress ist ein Schiff, falls Sie das vergessen haben sollten. Ein chinesischer Frachter auf dem Weg nach Basra. Seine Ladung ist, glauben wir, für die Amerikaner von größtem Interesse. Möglicherweise auch für die Chinesen.«
»Sagen Sie mir, was Sie wollen. Dann ließe sich abschätzen, ob wir beide von dieser Sache profitieren können.«
»Wir sind entzückt, dass Sie bereit sind, von beidseitigem Profit zu sprechen.« Er verlor die Geduld. »Hören Sie endlich mit diesem Spielchen auf. Um mich zu überzeugen, dass ich mir das noch länger anhören soll,
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