Der Amerikaner - The American
mit der Wucht eines Hammerschlags. Das Ganze war ein Schwindel, dachte sie. Der Typ ist gerade dreißig und hat offensichtlich keinerlei juristische Ausbildung. Aber
warum schicken sie jemanden, um ein falsches Angebot zu unterbreiten? Sie konnten nichts dabei gewinnen, es sei denn …
Schon aus der Ferne sah sie, dass der Wärter nicht mehr vor der Tür des Verhörzimmers stand. Tatsächlich war der ganze Flur verwaist. Nur hinter ihr waren leise Stimmen zu hören. Sie rannte los. Die schwere Aktentasche schlug gegen ihr Bein, und die Justizbeamten hinter ihr riefen ihr erstaunt etwas nach.
Sie ignorierte es, erreichte die Tür und stürmte in den Raum. Ihr Blick fiel auf das von Panik entstellte Gesicht ihres Mandanten.
Dann sah sie das Blut auf den Kacheln vor ihren Füßen.
Sie taumelte zurück und schrie, erst aus Angst, dann vor Wut. Hinter ihr stürzten die Justizbeamten in das Verhörzimmer.
Kealey bog um eine Ecke, sah den Ausgang und verfluchte sich selbst, als er sah, was ihn dort erwartete. Naomi Kharmai stritt sich lautstark mit Adam North, der gerade seine Pistole ins Holster schob, die er im Austausch für den Besucherausweis zurückerhalten hatte.
Als Kharmai Kealey sah, ließ sie den DEA-Agenten in Ruhe, um ihren Zorn gegen ihren Partner zu richten. »Was zum Teufel hast du hier zu suchen, Ryan? Ich sollte mit von der Partie sein, schon vergessen? Was für eine schwachsinnige Aktion! Harper wird dir was husten …«
Der Wortschwall ging weiter, als Kealey seinen Besucherausweis zurückgab. Der Justizbeamte hinter der Theke grinste breit, offenbar amüsiert über die Szene, die Kharmai ihrem Partner machte.
Kealey war weniger belustigt. In ein paar Sekunden würde eine dringende Mitteilung an alle Gefängnisbeamten aus den
Lautsprechern tönen, und auch Jackson würde bald wissen, was sich zugetragen hatte.
Die auf den Parkplatz führende Tür war keine fünf Meter entfernt.
»Schluss jetzt, Naomi, es reicht.« Er packte ihr Handgelenk, zog sie dicht an sich heran und zischte ihr etwas ins Ohr. »Wir müssen sofort abhauen.«
Sie verstummte, und Kealey zog sie auf den Ausgang zu. North trat bereits in die kalte Luft hinaus und hielt ihnen die Tür auf.
Kealey war sich der Geräusche bewusst, die aus allen Richtungen auf ihn einströmten - eine Unterhaltung auf dem Parkplatz, das Hupen eines wütenden Autofahrers, das Kratzen ihrer Schuhe auf dem feuchten Asphalt und das Knistern eines Funkgeräts.
25
Washington, D. C. • Hanover County, Virginia
Wie man es auch drehte, die enge, spärlich möblierte Wohnung war kein angenehmer Platz zum Leben. Vor den schmierigen Fenstern hingen löchrige weiße Gardinen, und die Anrichte in der Küche, auf der meistens Essensreste standen, war mit Flecken übersät, gegen die nichts mehr zu machen war. Es stank nach kaltem Zigarettenrauch und Schweiß, ein Geruch, der sie mittlerweile seit einem halben Jahr begleitete. Sie glaubte, dass er aus der Wohnung darunter kam, zum Teil aber auch von ihrem Leibwächter, den sie im Nebenzimmer herumschlurfen hörte.
Fatima Darabi lehnte sich in dem alten Ledersessel zurück und richtete ihre dunkelbraunen Augen auf den eingeschalteten Fernseher. Auf einem Beistelltisch neben ihr lagen, wie immer in Reichweite, ein Handy und eine Makarow-Pistole, Kaliber 9-mm. Sie hatte das Kinn in die linke Hand gestützt und schaute auf den Bildschirm.
Darabi fand es erstaunlich, dass die Bilder der Gräueltat immer wieder im landesweit empfangbaren Fernsehen ausgestrahlt wurden. Noch überraschender schien ihr, dass die Regierung dies gestattete. Der Einsturz des Kennedy-Warren-Gebäudes war kein angenehmer Anblick, nicht einmal für jemanden, der Amerika so hasste wie sie. Aber sie wusste, dass die Fernsehsender einen beträchtlichen Preis für die Bilder bezahlt hatten und dass in diesem Land sowieso alles nur nach seinem materiellen Wert beurteilt wurde.
Bei solchen Gelegenheiten genoss sie ihre Rolle. Hier saß sie, mitten im Feindesland, und sie wusste einiges über den Mann, der das Kennedy-Warren-Gebäude zum Einsturz gebracht hatte. Und doch hatten die Amerikaner nicht einmal eine Ahnung, dass es sie gab. Was für eine privilegierte Rolle …!
Der Hass, die Triebfeder ihres Handelns, war durch ein bestimmtes Ereignis wachgerufen worden und seitdem immer mehr gewachsen. Als von einem Kreuzer der U.S. Navy aus, der Vincennes , im Juli 1988 über dem Atlantik eine Maschine der Iran Air abgeschossen worden war,
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