Der Amerikaner - The American
klar. Nicht, dass ich viel von ihm erwartete, aber wenn er doch nur einmal von mir geredet hätte wie von meinen Brüdern …«
Sie unterbrach sich und stand so abrupt auf, dass der Stuhl umkippte.
Auch Kealey war sofort auf den Beinen. »Was ist denn? Stimmt was nicht?«
Sie schüttelte den Kopf, offenbar verärgert über sich selbst. »Nein, alles in Ordnung. Manchmal fange ich an draufloszuplappern … Tut mir Leid, vergessen Sie’s …« Sie griff nach ihrem Jackett und wandte sich ab.
Kealey ergriff ihren Arm. »Wenn er nicht stolz auf Sie war, hat er sich geirrt.«
Ein Blick in seine Augen verriet ihr, dass seine Worte aufrichtig gemeint waren. Sie zögerte kurz und gab ihm dann einen
flüchtigen Kuss, zog ihren Kopf aber kaum zurück. Es war wie ein Versprechen... Doch dann war der Augenblick vorüber, und das Klicken ihrer Absätze auf dem Steinfußboden wurde leiser, als sie zwischen den unbesetzten Tischen in Richtung Restaurant entschwand.
Kealey war verblüfft. Er stand allein auf der Terrasse und glaubte, noch immer ihren Duft zu riechen. Mittlerweile lag Finsternis über der Bucht. Guter Gott, das hätte nicht passieren dürfen. Aber er konnte nichts mehr daran ändern und musste noch lange mit Kharmai zusammenarbeiten. Für einen Moment dachte er an Katie, zwang sich, vor seinem geistigen Auge ihr Bild heraufzubeschwören, um sich zu bestrafen, und als es ihm gelang, sah er sie auf den Klippen von Cape Elizabeth. Sie blickte aufs Meer hinaus, und der böige Wind zerzauste ihr Haar. Ihre vornehmen Gesichtszüge waren atemberaubend, doch dann zersprang das Bild in tausend Stücke, und er wusste, dass es seine Schuld war, weil er in seiner Verwirrung immer noch an Kharmai denken musste.
Kopfschüttelnd ging er in Richtung des Eingangs. Diesen Kuss hätte es nicht geben dürfen …
Am nächsten Morgen war er früh auf den Beinen. Schon bevor die Sonne aufging, war er geduscht und angezogen. Als er den Flur hinabging, schob er einen Zettel unter Kharmais Tür, auf dem nichts über den letzten Abend stand. Die paar Zeilen sollten sie nur wissen lassen, dass er den Jeep nahm, um ein paar Einkäufe zu machen. Kharmai hatte am Vorabend reichlich Wein getrunken, und es konnte nicht schaden, ihr ein paar zusätzliche Stunden Schlaf zu gönnen. Nachdem er im Restaurant des Hotels einen Kaffee getrunken hatte, ließ er sich an der Rezeption den Weg zu einigen Geschäften beschreiben.
Draußen war es noch kühl, und ein zwischen orange und purpurfarben changierender Himmel kündete den neuen Tag an. Ihm war klar, dass die Geschäfte am Strand noch nicht geöffnet hatten, aber er fühlte sich noch nicht in der Lage, Kharmai schon wieder gegenüberzutreten. Sie ist eine seltsame Frau, dachte er gedankenverloren. So intelligent und halsstarrig, so besorgt, Schwächen zu zeigen. Er würde sie wissen lassen, dass sich zwischen ihnen nichts anbahnen konnte, aber es musste möglich sein, danach noch mit ihr zusammenzuarbeiten. Es war eine schwierige Situation. War es besser, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen? Abzuwarten, was sie zu sagen hatte? Vielleicht bedauerte sie den Vorfall genauso wie er.
Doch da war dieser lange Augenblick nach dem Kuss, als sie gezögert hatte, ihren Kopf zurückzuziehen. Er fragte sich, ob sie, nachdem sie die Terrasse verlassen hatte, in ihrem Zimmer auf ihn gewartet und auf ein Klopfen an der Tür gelauscht hatte, vielleicht in einem Bademantel, der an den Schultern etwas herabgerutscht war. Dieses Bild sah er vor sich, während er den Nissan in Richtung Hafengebiet steuerte.
Der silberne Mercedes stand bereits vor dem renovierten Lagerhaus, wenn auch nicht genau an der gleichen Stelle. Als Kealey an Harpers Akte über Gray dachte, fiel ihm wieder ein, dass dieser nicht nur ein Stadthaus an der Buitengracht, sondern auch noch weitere Häuser weiter nördlich besaß. Es war gut möglich, dass er die Nacht irgendwo dort verbracht hatte und dann am Morgen wieder zu dem Lagerhaus gefahren war. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es erst acht Minuten nach sieben war, aber Gray saß schon wieder in seinem Büro. Er stieg aus dem Jeep, um die Umgebung zu studieren. Die Gelegenheit war günstig, da noch niemand auf der Straße war. Der Bürgersteig auf der gegenüberliegenden Seite war sehr schmal, beinahe nicht
vorhanden, und dahinter ragte die Wand eines anderen Speichers auf.
Er ließ den Blick zu dem Flachdach hinaufgleiten und dachte, dass man von dort aus gut
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