Der Amerikaner - The American
Wüste eine willkommene Überraschung gewesen, denn seine Kenntnis der Landschaft seines Heimatlandes war bisher auf den Demawend beschränkt geblieben, den höchsten Berg des Elbusgebirges in der Nähe von Teheran. Bis zu der Fahrt nach Beheshti hatte er die Wüste nie gesehen, über der sich riesige weiße Kumuluswolken vor dem Hintergrund eines strahlend blauen Himmels ballten, der am Horizont mit der steinigen Wüstenlandschaft und den beginnenden Salzsümpfen verschmolz.
Jetzt war die Luft kühl, und Ahmedi kurbelte das Seitenfenster herunter, um die Brise hereinzulassen. Am Himmel funkelten bereits die Sterne. Bald würde der Konvoi anhalten, denn die Fahrt durch die Sümpfe war schon tagsüber gefährlich, wenn man wenigstens den Weg sah.
Der Landrover wurde von einem Freund gefahren, der zugleich ein Kollege von der Geheimpolizei Komiteh war. Auf der
Rückbank saßen drei der Adjutanten des Obersts, deren Gesprächen Ahmedi zuerst noch belustigt gelauscht hatte, aber im Laufe der Stunden war Ungeduld immer mehr in Verärgerung umgeschlagen.
Für sie gab es kein anderes Gesprächsthema als den Amerikaner.
Sie überboten sich mit wilden Spekulationen und Theorien; der Amerikaner war gar kein Amerikaner, sondern europäischer Söldner; der Amerikaner war Spion in Diensten des Großen Satans; der Amerikaner war ein Profikiller, der seinesgleichen suchte.
Für die letzte These spricht einiges, dachte Ahmedi.
Er hatte gesehen, wie der Amerikaner, der wie ein Filmstar aussah, den Mann von Al Kaida mit seinen Schlangenaugen fixiert hatte und dann zu dem Wellblechschuppen geschlendert und eingetreten war. Der Hafenmeister hatte gebrüllt, das Lagerhaus dürfe nicht geöffnet werden, der Lastwagen müsse anderweitig besorgt werden. Danach hatte niemand mehr etwas von ihm gehört, aber es hatte sich auch niemand getraut, in den Schuppen zu gehen und nach ihm zu sehen.
Ahmedi glaubte, dass der Mann von Al Kaida Angst vor dem Amerikaner hatte und dass es bei dem Oberst und seinen Adjutanten genauso war.
Der Amerikaner, der am Steuer des hinter ihnen fahrenden Lastwagens saß, betätigte die Lichthupe, und Ahmedis Freund tat es ihm gleich. Der Konvoi blieb stehen, die Motoren verstummten. Die Männer zogen Schlafsäcke hinter den Sitzen hervor, während der kühle Wind Sandkörner aufwirbelte. Wenn sie beim ersten Tageslicht aufbrachen, würden sie noch zwölf Stunden bis nach Arak benötigen.
15
Kapstadt, Südafrika
Kapstadt war Mitte des 17. Jahrhunderts von Gouverneur Jan van Riebeck als Proviantstation für die Schiffe der niederländischen Ostindischen Kompanie gegründet worden. Im Laufe der Jahre blühte die Stadt auf, die zeitweise in britischer Hand war, im Jahr 1803 aber an die Holländer zurückgegeben wurde. 1806 fiel der Hafen erneut an die Briten, und Kapstadt wurde zur Hauptstadt der Provinz der Guten Hoffnung. Als 1910 die Südafrikanische Union gegründet wurde, gingen die politischen Verwaltungsaufgaben an das nördlich gelegene Pretoria über, aber die Küstenstadt prosperierte weiter, weil die Ausbeutung der Diamant- und Goldminen des Transvaal lukrative Exportmärkte erschloss. Heute befindet sich hier der Sitz des südafrikanischen Parlaments, und Kapstadt ist einer der größten Seehäfen der Welt. Ryan Kealey erschien es nur plausibel, dass Stephen Gray den Hauptsitz seines Unternehmens in dieses kommerzielle und industrielle Zentrum verlegt hatte, das ein Tor zum afrikanischen Kontinent war.
Nachdem sie über zehntausend Kilometer im Flugzeug zurückgelegt hatten, war die Maschine um drei Uhr nachmittags bei strahlendem Sonnenschein in Kapstadt gelandet. Sie hatten einen Wagen gemietet, und Kealey steuerte den weißen Nissan X-Trail in Richtung Innenstadt, während Kharmai auf dem Beifahrersitz saß, eine große Karte auf den Knien, und ihm den Weg beschrieb. Sie fuhren nach Westen, in Richtung Küste, aber
Kharmais Miene deutete darauf hin, dass etwas anderes sie weitaus mehr beschäftigte als die Route.
»Dieser Blick macht mich wahnsinnig«, sagte Kealey schließlich. »Woran denken Sie?«
Kharmai wandte sich ihm zu, und ihr Gesichtsausdruck wirkte besorgt. »Ich denke darüber nach, wie wir das mit diesem Gray angehen sollen. Finden Sie nicht, dass wir zu zweit eher schlechte Karten haben?«
Kealey zuckte die Achseln, den Blick weiterhin auf die Straße richtend. »Da ihm eine der größten Schifffahrtsgesellschaften des Landes gehört, muss er ein intelligenter Mann sein. Wir
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