Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
Vom Netzwerk:
Gedenkstättenauswahl? Das albanische Café, das geradezu nach organisiertem Verbrechen roch? Einen Moment lang hatte sie fast Mitleid mit Claire, weil sie ihre makellosen Werte mit dem Dreck besudeln musste, in dem alle anderen lebten.
    »Ich würde lieber ›zweckmäßig‹ sagen.« Alyssa hoffte, dass ihr Stimme beruhigend klang. Sie wartete, bis Claire fast im Flüsterton »Also gut« sagte. Dann erst zückte sie ihr Notizbuch.
    »Er war in Afghanistan«, teilte sie Claire mit. »In Kabul.«
    »Da also –«, fing Claire an.
    »Und da äußerte er eine Drohung gegen die dortige Botschaft.«
    »Was?« Claire wollte es nicht glauben. »Das kann unmöglich wahr sein.« Aber sie war kreideweiß geworden. Alyssa schob ihr ein Glas Wasser zu. Claire trank einen Schluck. »Es muss eine Erklärung dafür geben«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Wieso weiß niemand sonst darüber Bescheid? Wieso wurde er nicht verhaftet?«
    »Anscheinend war es keine belangbare Drohung«, erklärte Alyssa. »Sondern eher eine ominöse Wortwahl, die man als Drohung interpretieren könnte, ohne dass es direkt eine Drohung war. Solche Fälle sind schwierig. Wenn man jeden Muslim einsperren wollte, der irgendetwas Anti-Amerikanisches sagt, wären die Gefängnisse voll. Voller. Viel voller. Wie auch immer, ich will Ihnen nur ein Gefühl dafür vermitteln, wie er denkt.«
    In dem langen Schweigen, das nun folgte, stopfte Alyssa die Fleischpastete, die sie bestellt hatte, in sich hinein und hoffte, dass sie einen Teil der Säure in ihrem Magen aufsaugen würde. Gleichzeitig gab sie dem Kellner ein Zeichen, ihr einen weiteren Espresso zu bringen. Sie kaute immer noch, als Claire sich einigermaßen gefasst hatte.
    »Sie wollen ihm doch nur etwas anhängen«, sagte sie mit verächtlich gekräuselten Lippen. »Es ist widerlich.«
    Alyssa zuckte die Schultern. »Ich will ihm überhaupt nichts anhängen. Wahrscheinlich werde ich die Geschichte nicht einmal veröffentlichen«, sagte sie, ohne zu erwähnen, dass sie das gar nicht konnte, weil sie es Oscar versprochen hatte, oder vielmehr dass die Beschuldigung als irrelevant eingestuft worden war, weil sie von einem Architekten kam, der mit ROI um den Bau der neuen Botschaft konkurrierte und offenbar nur versuchte, sich einen Vorteil zu verschaffen. Die »Drohung« war eine beiläufige Bemerkung Mos gewesen. Alyssa wusste nicht einmal, was genau er gesagt hatte. Normalerweise waren es die Afghanen, die sich gegenseitig irgendwelcher Dinge beschuldigten, um alte Rechnungen zu begleichen oder Vorteile herauszuschinden, hatte Oscars Freund zu ihm gesagt. Die Geschichte mit Mo war ihm nur deshalb in Erinnerung geblieben, weil es sich um einen Amerikaner handelte, der versuchte, einen anderen Amerikaner anzuschwärzen, und die Tatsache ausnutzte, dass Mo muslimisch war. Alyssa hatte keinerlei schlechtes Gewissen, weil sie Claire diesen Teil der Geschichte vorenthalten hatte. Realität zu fabrizieren war kriminell, sie sich so zurechtzubiegen, wie man sie haben wollte, ganz alltäglich.
    »Ich dachte nur, Sie wüssten es gern, um alles besser abwägen zu können«, sagte sie. »Und ich wollte mit Ihnen reden, und das war eine Möglichkeit, an Sie ranzukommen. Also, wie wäre es jetzt mit –« Sie hielt inne, um den Kassettenrekorder aus ihrer Tasche zu kramen. »Werden Sie Ihr Versprechen halten?«
    Claire warf ihr einen bösen Blick zu. »Wenn Sie mich nicht zitieren wollen, wieso wollen Sie das Gespräch dann aufnehmen?«
    »Zu meinem eigenen Schutz«, sagte Alyssa mit aller Ehrlichkeit, die sie aufbringen konnte. »Und zu Ihrem.«
    Das Interview war eine Katastrophe, wie Interviews bei vorgehaltener Pistole es oft sind. Claire sah aus, als hätte sie lieber mit den albanischen Schlägertypen geredet. Ihre Körperhaltung war so abwehrend, ihre Äußerungen so spärlich, dass Alyssa schon fürchtete, keine Story daraus basteln zu können. Sie versuchte es mit einer Provokation.
    »Vertrauen Sie Mohammad Khan?«
    »Wieso sollte ich es nicht tun?«, fauchte Claire.
    »Lassen Sie es mich anders ausdrücken. Wie viel wissen Sie darüber, wie er denkt? Einmal abgesehen davon, ob sein Garten ein Paradies für Märtyrer ist oder nicht – und wir alle wissen, dass er sich weigert, sich dazu zu äußern, obwohl ich ehrlich gesagt nicht verstehe, wieso –, wie steht er zum Dschihad? Wie steht er zum amerikanischen Einsatz in Afghanistan? Oder zu den Hintergründen der Anschläge? Glaubt er an die

Weitere Kostenlose Bücher