Der amerikanische Architekt
dschihadistischen Chatrooms seien feindselige Äußerungen über ihn gefunden worden, tat er die Drohung zwar als belanglos ab, war aber froh über den Vorwand, das Haus seiner Eltern für eine Weile verlassen zu können. »Ich will meine Eltern nicht in Gefahr bringen«, sagte er zu Debbie Dawson und wusste irgendwie, dass sie eine vorübergehende Unterkunft für ihn finden würde. Allerdings hatte er nicht erwartet, dass sie ihn in ihrer eigenen Wohnung aufnehmen würde.
Diese Wohnung war ein weitläufiges Dachgeschoss in der Upper East Side, ursprünglich zwei Einheiten, die ihr Mann zusammengelegt hatte, bevor er sich aus dem Staub machte. Sie lebte dort mit ihren drei Töchtern: Trisha, achtzehn und kokett, die in Seans Beisein gern die Träger ihres BH s vorblitzen ließ, Alison, sechzehn und flatterhaft, und Orly, mit dreizehn das ständig schmollende Nesthäkchen. Alle drei hatten Schilder mit der Aufschrift »Islamfreie Zone« an ihren Türen, und Debbie durfte in ihren Zimmern nicht über »diesen Kram« reden, wie sie abfällig dazu sagten. Wenn sie ihren Kopf nicht durchsetzen konnten, drohten sie damit, einen Muslim zu heiraten.
Sean hatte das Gefühl, einem im Bademantel herumlaufenden Zauberer von Oz begegnet zu sein, da Debbie den größten Teil des Tages in diesem Kleidungsstück verbrachte. Sobald die Mädchen in der Schule waren, betrat sie ihre virtuelle Welt, brachte ihren Blog, »The American Way«, obsessiv auf den neuesten Stand, rief Unterstützer und Freiwillige an (von denen zwei gelegentlich als ihre Leibwächter fungierten), attackierte Widersacher weltweit. Erst kurz bevor die Mädchen nachmittags nach Hause kamen, duschte sie und zog sich an.
Die Wohnung lag im achtzehnten Stock. Zuerst steigerte die Höhe Seans Gefühl seines eigenen Werts. Es war das erste Mal, dass er in Manhattan lebte, und seine Tage gehörten allein ihm, da er Joe Mullaney die vorübergehende Leitung des Komitees übertragen hatte. Er erkundete die Umgebung von Debbies Wohnung und versuchte so auszusehen, als gehöre er hierher. Aber das tat er nicht. Er war der einzige Mann, der es nicht eilig hatte. Nicht einmal die Kinder trödelten hier. Eines Nachmittags folgte er einem Mann, dessen Nonchalance und orientalischer Teint ihn an Mohammad Khan erinnerten. Der Mann betrat ein Museum, dessen brutal-graue Betonfassade Sean abstieß, nicht nur, weil er sie hässlich fand, sondern auch, weil er den Verdacht hatte, dass sie auf eine Weise, die er nicht verstand, schön war. Es versetzte ihm einen Stich, dass der Architekt Khan viel besser hierher gepasst hätte als er.
Als er in die Wohnung zurückkam, war Debbie nicht da. Er warf einen Blick auf ihren Blog. Debbies Körper in Burka und Bikini – das Foto war, wie er inzwischen wusste, mit einem Weichzeichner aufgenommen worden – war verkleinert worden, um einem neuen Eintrag Platz zu machen. » THE AMERICAN WAY HAT EINEM FLÜCHTLING VOR ISLAMISTISCHER GEWALTPOLITIK UNTERSCHLUPF GEWÄHRT «, hieß es in Großbuchstaben. » SPENDEN SIE JETZT !« Und in kleinerer Schrift: »Der Mann wird bedroht, weil er mutig genug war, sich gegen die islamistische Gefahr und gegen Mohammad Khan zu äußern. Er musste sein Zuhause verlassen. Wir haben ihn bei uns aufgenommen. Spenden Sie jetzt!«
»Geht es dabei um mich?«, fragte er, als Debbie mit den Mädchen zurückkam.
»Ich habe Sie schließlich aufgenommen«, sagte sie. »Und irgendjemand muss dafür sorgen, dass die Mädchen aufs College gehen können.«
»Daddy wird dafür sorgen«, sagte Trisha.
Debbie verdrehte die Augen. »Frauen müssen finanziell unabhängig sein.«
»Dieser Blog«, sagte Trisha und runzelte die kecke Nase, »wird dich nicht unabhängig machen.«
An einem milden Herbsttag beorderte Paul Claire zu einem Mittagessen nach Manhattan, um ihr Vorhaltungen zu machen. Die Schlagzeile der Post – WITWE KIPPT UM – hatte ihn völlig unvorbereitet erwischt. Alyssa Spiers Artikel zitierte sie natürlich nicht direkt, aber jedem musste klar sein, dass die heraufbeschworenen »Freunde« (»Freunde sagen, Claire Burwell macht sich Sorgen über Mohammad Khans ausweichende Haltung«) nur vorgeschoben waren. Er war verärgert, weil Claire anscheinend gegen alle Juryvorschriften mit der Presse geredet hatte, und schockiert, dass sie sich ausgerechnet die Post dafür ausgesucht hatte. Und falls sie nicht die Quelle war, hätte sie eigentlich klug genug sein müssen, nicht mit irgendwelchen
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