Der amerikanische Architekt
anders, Laila. Ich bin nicht mehr der Mann, den du vor drei Wochen kennengelernt hast, und wenn das alles so weitergeht, werde ich in zwei Wochen nicht mehr der Mann sein, den du jetzt kennst. Man kann einen Gegenstand, der sich in Bewegung befindet, nicht falsch darstellen.«
Ihr Blick wanderte von seinem Mund zu seinen Augen. »Du unterschätzt deine eigene Beständigkeit, Mo. Ich habe sie bei unserem ersten Treffen gesehen. Sie hat mich zu dir hingezogen, und wahrscheinlich wird sie mich irgendwann in den Wahnsinn treiben. Deine äußeren Kanten werden sich durch das alles vielleicht verändern. Aber Mohammad Khan selbst wird intakt bleiben. Du bist wie deine stählernen Bäume.«
Stahl kann brechen, Stahl kann schmelzen, hätte er gern gesagt. Das wissen wir alle inzwischen nur zu gut. Stattdessen nahm er ihre Hand.
Auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch in der Redaktion beschloss Alyssa, einen Umweg zu machen und erst bei ihrem Chefredakteur vorbeizugehen. Chaz war garantiert schon um zehn da gewesen, so wie immer, und hatte, die Ärmel hochgekrempelt, Befehle gebellt, Kollegen in Grund und Boden gestampft, andere Zeitungen heruntergemacht und Unmengen von schwarzem Kaffee in sich hineingekippt. Seine Immunität gegen die Nachwirkungen des Alkohols war ebenso legendär wie seine Besäufnisse.
In letzter Zeit war er ihr ausgewichen, und in seinen Augen, die sich weigerten, ihren zu begegnen, sah sie ihren bevorstehenden Niedergang. Ihre erste Kolumne war so provokativ gewesen, dass sie ihr zwei weitere eingebracht hatte, aber es fehlte ihnen an Exklusivität, an Explosivität. Die letzte war so lahm gewesen, dass Chaz dabei gegähnt hatte. Dann hatte er sie ihr zurückgegeben. Mit jedem Tag schlitterte sie mehr auf den Abgrund zu. Die erste Kolumne hatte ihr einen Auftritt bei Bill O’Reilly verschafft. Sie hatte sich das Video der Sendung so oft angesehen, dass sie es in- und auswendig kannte.
»Sind Muslime eine Art fünfte Kolonne, Alyssa?«, hatte O’Reilly gefragt.
»Ich glaube, das ist ein bisschen zu dick aufgetragen, Bill«, hatte sie geantwortet und sich seinen Vornamen wie ein Bonbon auf der Zunge zergehen lassen. »Vielleicht eine viereinhalbte.« Er hatte gelacht und hinterher gesagt, dass er sie bald wieder einladen würde. Aber er hatte es nicht getan.
Als Chaz sie auf sich zukommen sah, zog er den Kopf ein und griff nach dem Telefon, legte aber den Hörer zurück, sobald er glaubte, sie sei weitergegangen. Da hatte sie sie, die Bestätigung, dass ihr Glanz verblasste. Wie bei einem Junkie war ihre Sucht von einem Stadium ins nächste übergegangen. Erst hatte sie die Nachrichten nur gelesen, dann selbst angefangen, sie zu berichten, dann hatte sie den Knüller gefunden und schließlich – das Crack in ihrer Branche – die Nachricht mitgestaltet. Sie war die Nachricht gewesen! Beim Gedanken, von ihrem Nachschub abgeschnitten zu werden, brach ihr der kalte Schweiß aus.
Niemand grüßte sie auf dem Rest ihrer Runde durch die Redaktion, was sie nicht überraschte. Sie hatte sich nicht bemüht, sich mit ihren neuen Kollegen anzufreunden. Sie hassten sie, so wie sie selbst sie auch hassen würde, wenn die Situation umgekehrt wäre. Eine Redaktion, in der der Erfolg eines Kollegen oder einer Kollegin gefeiert wurde, war eine Seltenheit, das galt erst recht, wenn es sich dabei um eine Neue handelte. Stattdessen richtete sich alle Energie darauf, komplizierte Theorien aufzustellen, weshalb dieser Erfolg unverdient war, und jeder anschließende Absturz war Beweis für die Richtigkeit dieser Theorien. Alyssa hatte sich noch nie so verlassen gefühlt.
Sie kramte ihre einzige winzige Hoffnung, Claire Burwells Handynummer, aus ihrer Handtasche und befingerte sie, als sei sie ein Stück kostbarer Seide. Diese Nummer hatte sie ein weiteres überteuertes Abendessen mit dem tuntigen Jury-Assistenten gekostet. Lannys Einfluss schien immer größer zu werden – inzwischen war er verantwortlich für die Pressestrategie rund um das Gedenkstättenfiasko, und aus irgendeinem Grund beinhaltete seine Strategie, Informationen an sie weiterzugeben. Es war ihr unbegreiflich, dass noch niemand dahintergekommen war, dass er das Leck war. Im Gegenteil hatte er Paul Rubin sogar dazu gebracht, ihn zum Leiter der Untersuchungskommission zu machen, die das Leck aufspüren sollte, woraufhin er sofort angefangen hatte, vage Verdächtigungen gegen diverse Juroren und Mitarbeiter in Umlauf zu bringen.
Nervös wählte sie
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