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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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Holzwolle aus einem Stofftier.
    »Die Familien sind nicht die einzigen, die wissen wollen, was hinter dem Entwurf steckt«, sagte sie mit Bedacht. »Auch viele andere Amerikaner haben Angst.«
    Ihre Obsidian-Augen auf Paul gerichtet, sagte Ariana ebenso mit Bedacht: »Erst musste ihr Standpunkt stärker gewichtet werden, weil sie die Familien repräsentierte. Jetzt steht sie auf einmal für ganz Amerika und will, dass wir Rücksicht auf ihren Zwiespalt nehmen, auf ihr ständiges Hin und Her. Es reicht!«
    »Aber Claire hat insofern recht«, zwang Paul sich zu sagen, »als es nicht sehr klug wäre, allen anderen unsere Entscheidung aufzuzwingen. Wir müssen einen Konsens in der Öffentlichkeit herstellen, einen Konsens zwischen allen Lagern. Das wäre das richtige Vorgehen.«
    »Nein, es wäre das vorsichtige«, ließ Ariana nicht locker. »Das richtige wäre, dem Druck, Khan fallen zu lassen, nicht nachzugeben.« Ihre zierliche Gestalt hatte plötzlich etwas viel Kompakteres, so dass sie in ihrem Markenzeichen, dem immer gleichen Haferschleimgrau, wie ein Stahlstift wirkte. »Der Garten«, sagte sie trotzig. »So wie er ist.«
    »Der Garten, so wie er ist.« Einer nach dem anderen nahmen die Juroren ihre Formulierung auf, bis Paul auf die wenig überzeugende Weise eines Vaters, der seine Sprösslinge nach einem langen Tag im Büro bestrafen muss, einwarf: »Wir stimmen heute nicht ab.«
    »Aber wenn wir abstimmen würden, würde ich mit Nein stimmen«, meldete sich der Vertreter der Gouverneurin zu Wort, woraufhin erst Maria, dann Leo, dann die hin- und hergerissene, schlecht gelaunte Violet sagten: »Der Garten, so wie er ist.«
    Nur Claire, die vergeblich darauf wartete, dass Paul der unzulässigen Abstimmung ein Ende machte, sagte nichts. Der ganze Tisch beobachtete sie. Ihre Gedanken rasten wie ein Hochgeschwindigkeitszug mit atemberaubendem Tempo um Kurven und durch Tunnel und Unterführungen, und in der kurzen Zeit zwischen dem Augenblick, da sie den Mund öffnete, und dem, da sie die Worte aussprach, kam sie davon ab, für Khan zu votieren, wenn auch aus keinem anderen Grund als dem, sich die Peinlichkeit zu ersparen, ihren inneren Widerspruch darlegen zu müssen. Stattdessen sagte sie: »Ich enthalte mich, ich enthalte mich der Stimme.«
    Ihr Körper hatte die Zweifel bekämpft wie einen Virus und verloren. Ihr Fieber stieg immer höher beim Gedanken an Alyssa Spiers Fragen und Sean Gallaghers Verurteilung und Jack Worths von Prinzipien bestimmte Manipulationsversuche, und nicht zuletzt beim Gedanken an den so undurchschaubaren Mohammad Khan selbst. Ihre Gedanken flogen zurück zu den russischen Puppen, nicht als Bild für die Rätsel, die Khan ihr aufgab, auch nicht für ihre eigenen Rätsel, sondern zu den tatsächlichen Puppen der Burwells, die das Rätsel Cal für sie gelöst hatten. Die Puppen waren mit das Letzte, was er sich ausgedacht, was er in Angriff genommen hatte, und genau das, nicht der Austritt des Zwanzigjährigen aus dem Country Club, hatte ihn ihr offenbart. Anderen eine Freude zu machen, das war für ihn ein Akt der Kreativität, was auch bedeutete, dass er sie jetzt weniger wegen ihrer Unsicherheit kritisieren würde, als wegen der Ernsthaftigkeit, mit der sie an die ganze Sache heranging. Sie hatte seine eigentlich simplen politischen Prinzipien viel zu sehr aufgeblasen und dabei vergessen, was für ihn den höchsten Wert besaß, nämlich das Leben zu genießen. Diese Einsicht – dass Cal sich nicht annähernd so für Khan interessiert hätte, wie sie es dargestellt hatte – war erhebend und befreiend. Jetzt konnte sie ihre eigene Entscheidung treffen, konnte eine Position aufgeben, von der sie nicht sicher war, ob es tatsächlich die ihre war, konnte akzeptieren, dass ihre innerste Puppe zutiefst verunsichert war.
    »Ich enthalte mich, weil ich unsicher bin«, sagte sie. Das Schweigen, das auf ihre Äußerung folgte, fühlte sich an wie ein winziges Loch in der Geschichte. Die anderen Juroren, ging ihr auf, hatten nicht mit ihr im Hochgeschwindigkeitszug ihrer Gedanken gesessen, hatten ihn nicht einmal vorbeirauschen sehen. Aber bevor sie anfangen konnte, ihnen die Schritte zu erklären, die sie dazu gebracht hatten, ihre einst so unerschütterliche Position aufzugeben, sagte Ariana: »Wir haben auch ohne Sie die zehn Stimmen, die wir brauchen.«
    Ihre Worte, der Mangel an Respekt, mit dem sie geäußert wurden, ließen Claire zusammenzucken. Dann nickte Wilner, der Vertreter der

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