Der amerikanische Architekt
Gouverneurin, ihr aufmunternd zu, ein Nicken, das sie zu ihrem Entsetzen auf seiner Seite verankerte. Wie eine große Familie saßen sie um den runden Tisch herum, in einer Nähe und Vertrautheit, die ihr plötzlich schrecklich war. Der Atem des Historikers neben ihr, der unverkennbar Probleme mit den Polypen hatte, war allzu deutlich wahrnehmbar. Claire hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen, nicht genug Raum zum Atmen zu haben, und trat ans Fenster, bloß um vom grellen Licht des leeren, erwartungsvollen Geländes tief unter ihr geblendet zu werden. Niedergeschlagen ging sie zu ihrem Platz zurück.
»Sie haben noch überhaupt keine Stimmen«, sagte Paul, endlich, in strengem Ton zu Ariana. Sie mussten, beharrte er, eine gebührende Zeit abwarten – drei Wochen oder sogar noch mehr –, damit es zumindest den Anschein hatte, als hätten sie sich mit den eingegangenen Kommentaren auseinandergesetzt. Keine öffentliche Diskussion ihrer Überlegungen vom heutigen Abend, warnte er. Keine Bestätigung irgendeiner Entscheidung. Und es wäre für alle Beteiligten besser, sich irgendwie mit der einzigen Angehörigen in der Jury zu einigen.
»Claire braucht Zeit, um sich über ihre Verwirrung klarzuwerden«, sagte er.
Ihr Gesicht fing an zu glühen, als sie das Wort hörte, aber sie stritt nicht ab, verwirrt zu sein.
Mo schlief elf traumlose Stunden und wachte orientierungslos und völlig ausgehungert auf. Erst als er die Reste eines drei Tage alten chinesischen Essens – Rindfleisch mit Brokkoli – aus dem Kühlschrank heruntergeschlungen hatte, fühlte er sich dazu in der Lage, sein Telefon einzuschalten. Sowohl die Mailbox als auch der SMS -Speicher waren voll. »Rufen Sie mich an«, hatte Reiss viel zu oft geschrieben. »Wo sind Sie? Rufen Sie an!«
»Eine gute und eine schlechte Neuigkeit«, platzte er ohne Gruß heraus. Mo wartete eigenartig ruhig.
»Also erst die gute Neuigkeit: Ihre Cheerleaderin aus Bangladesch« – ein absolut unpassendes Bild der jungen Frau in kurzem Rock und mit Puscheln schoss Mo durch den Kopf – »hat gestern Abend die gesamten Nachrichten beherrscht, und das hat eine Welle der Unterstützung für Sie ausgelöst. Die Schnellumfragen – Sie müssen bedenken, dass es sich dabei nur um eine kleine Gruppe von Befragten handelt und der Unsicherheitsfaktor entsprechend hoch ist – zeigen, dass sich die Unterstützung für Sie seit der Anhörung verdoppelt hat.«
»Und die schlechte Neuigkeit?«
»Anscheinend haben Sie Gott gelästert.«
»Gott gelästert?« Die Worte hatten einen jungfräulichen, unerprobten Klang.
»Keine Ahnung, ob Sie es absichtlich gemacht haben, aber Sie haben gesagt, dass Mohammed, also ein Mensch, nicht Gott, den Koran geschrieben hat. Das ganze Internet ist voll davon. Imame von den Niederlanden bis nach Nigeria überbieten sich damit, auf Ihnen herumzuhacken, obwohl ich sicher bin, dass die meisten keine Ahnung haben, was genau Sie gesagt haben.«
»Und was genau habe ich gesagt?«
»Die verräterische Äußerung lautet: ›Und wahrscheinlich gehen die Gärten, über die wir im Koran lesen, auf die Gärten zurück, die es zu jener Zeit bereits gab, vielleicht auf die, die Mohammed auf seinem Weg nach Damaskus sah. Vielleicht hat er den Koran als Reaktion auf diesen Kontext geschrieben. Verglichen mit der Wüste erschienen Gärten den Menschen als etwas Paradiesisches, und folglich malten sie sich ihren Himmel so aus.‹ Damit haben Sie sich als Ungläubiger geoutet. Irgendein Arschloch im Iran hat bereits eine Fatwa gegen Sie erlassen. Sie sind ein Gotteslästerer, ein gottloser Gotteslästerer«, wiederholte Reiss ein wenig zu enthusiastisch. »Schlimmer noch, einer ohne Bart.« Mo berührte sein Kinn und fing an zu lachen, als sei das die natürlichste Reaktion darauf, im Fadenkreuz von Nationen und Religionen zu stehen. Er lachte, bis ihm die Tränen über das Gesicht liefen, er lachte, als sei er high. »Vielleicht hätte ich mich nur halb rasieren sollen«, japste er.
»Ich verstehe nicht, was so witzig ist.«
»Dass ich nicht gewinnen kann, und zwar auf eine so lächerliche Weise, dass es zum Lachen ist. Ich bin wie ein Kind in einem Sorgerechtsstreit oder wie die Falkland-Inseln oder so etwas. Egal wie ich mich drehe oder wende, ich stehe immer mit dem Rücken zu irgendwem, der dann beleidigt ist. Die Leute lesen mein Gesicht wie einen Text, aber nicht einmal ich kann den Text lesen, den ich selbst geschrieben habe.« Er lachte so
Weitere Kostenlose Bücher