Der amerikanische Architekt
Lady aus dem Fernsehen! Sie ist total berühmt, total. Und sie verschenkt Autos. Soll ich dich hinfahren? Ich lerne es gerade …«
Ach ja? Das war Nasruddin völlig neu.
»Haben Sie gerade etwas über Oprah Winfrey gesagt? Will sie Asma in ihrer Show haben?« In dem ganzen Lärm, Farbengewirr und Chaos war ihm die weiße Frau noch gar nicht aufgefallen, die mit gezücktem Stift und Notizblock zu Asmas Füßen saß, sitzen musste, da Mrs Mahmoud und Mrs Ahmed die ganze restliche Couch vereinnahmten. Eine Journalistin, dachte er, ein Gast, was die Süßigkeiten erklärte, aber wie wollte sie eine Frau interviewen, die praktisch kein Englisch sprach?
»Ich dolmetsche, Baba«, informierte ihn Tasleen, bevor er die Frage stellen konnte. »Und ja«, teilte sie der weißen Frau auf Englisch mit. »Er hat gesagt, dass Oprah Winfrey angerufen hat.«
Sie hatten die Anhörung so schnell wie möglich verlassen. Nasruddin hatte Asma an neugierigen Angehörigen und lärmenden Reportern vorbeigezerrt, vorbei an dem Polizeibeamten von vorhin, der die Hand an die Mütze gehoben hatte. Die U-Bahn, laut, übelriechend und vollgestopft wie meistens, gewährte ihnen eine Atempause, und sie hatten den ganzen Weg nach Hause schweigend nebeneinandergesessen. In seinem Kopf überschlugen sich zu viele Gedanken, als dass er sich hätte unterhalten können. Sie hatte sich auf der Anhörung zu Wort gemeldet, und er war stolz auf sie. Gleichzeitig schämte er sich über sich selbst. Er hatte immer geglaubt, Führerschaft müsse leise sein. Heute fragte er sich, ob diese Einstellung auch einen Mangel an Mut verriet. Was hatte seinen Leuten mehr gedient? Seine penible Beachtung bürokratischer Details und das Pflegen kultivierter Beziehungen, oder Asmas Forderung, gehört zu werden?
Vor ihrem Haus hatte er sich mit einer unbeholfenen Verbeugung und einem Kompliment verabschiedet: »Jetzt weiß ich, was Inam gemeint hat.«
Asma sah ihn fragend an.
»Er hat einmal zu mir gesagt: ›Asma kann zwar kein Englisch, aber sie hat einen sehr hellen Kopf.‹«
Obwohl Nasruddin selbst beeindruckt war, hatte er sich nicht vorstellen können, welche Wirkung ihre Worte haben oder wie oft sie in den nächsten Stunden und Tagen ausgestrahlt werden würden. Amerika dürstete nach Helden, sagten die Kommentatoren. In Asma hatte es eine Heldin gefunden.
Ein paar Stunden nachdem er sich an ihrer Tür von ihr verabschiedet hatte, kam ein aufgeregter Anruf: Viele weiße Menschen (und ein schwarzer Mann, flüsterte sie), waren plötzlich aufgetaucht, Mrs Mahmoud war ausgegangen, und Asma verstand nicht, was diese Leute von ihr wollten. Einige hatten Kameras dabei. Er hetzte hin und fand eine kleine Gruppe von Presseleuten auf der Treppe. »Wir wollen nur kurz mit ihr sprechen«, riefen sie. »Nur ein paar Worte!« Nur ein paar Worte. »Mrs Anwar hat auf der Anhörung alles gesagt, was sie zu sagen hatte.« Mehr bekamen sie nicht aus Nasruddin heraus. Aber seitdem versuchten alle, angefangen bei lokalen Nachrichtensendern bis jetzt hin zu Oprah, ein Interview mit Asma zu ergattern. Der MACC wollte sie für eine Anzeigenkampagne. Feministinnen – muslimische und nicht-muslimische – beanspruchten sie für sich und machten Nasruddin zum Bösewicht, der versucht hatte, ihr den Mund zu verbieten. »Typisch muslimischer Mann«, sagten sie und verglichen sein Verhalten sogar mit den Beschneidungen, mit denen in Afrika Mädchen verstümmelt wurden. T-Shirts mit einer hochgereckten Faust und der Aufschrift »Lasst sie zu Wort kommen« wurden gedruckt, als stünde Asma jetzt stellvertretend für alle muslimischen Frauen rund um den Globus.
Nasruddin bedauerte, das Bild des Islam beschädigt zu haben. Sein eigenes Bild hatte dabei ebenfalls Schaden genommen. Sein unziemlicher, wiederholter Griff nach Asmas Arm, und zwar in aller Öffentlichkeit, hatte zu Gerüchten geführt oder bestehende Gerüchte vielleicht auch nur bestätigt: Ein verheirateter Mann, der so selbstverständlich eine Witwe berührte, und zwar eine, der er seit dem Tod ihres Mannes oft geholfen hatte – das blieb bei seinen Landsleuten natürlich nicht unbemerkt. Bei seiner Frau auch nicht. Jedes Mal, wenn er nach Hause kam, schien die Temperatur um zwanzig Grad zu sinken.
Aber diese Sorgen waren bald vergessen. Denn Briefe fanden ihren Weg zu Asma, obwohl sie gar keine offizielle Adresse hatte. Da ihr Englisch nicht ausreichte, um sie lesen zu können, gab sie sie Nasruddin, der ihren
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