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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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Inhalt für sich behielt: »Du sollst brennen!« – besonders verletzend angesichts der Tatsache, dass Inam so gestorben war. »Terroristenhure!«, »Fotze!« Nasruddin hatte nicht gewusst, dass die englische Sprache so unflätig sein konnte, kannte einige der Worte nicht einmal und sah sich in der peinlichen Lage, seine Tochter fragen zu müssen, die sie alle kannte.
    Er wäre gern zur Polizei gegangen, fürchtete jedoch, Asma dadurch der Gefahr der Ausweisung auszusetzen. Aber er sprach inoffiziell mit Ralph Pasquale, einem Streifenpolizisten, den er als Freund betrachtete. »Niemand hat sie gezwungen, auf dieses Podium zu steigen und den Mund aufzureißen«, sagte Ralph mit feindseligem Blick. »Was erwarten Sie denn jetzt von uns? Dass wir jemanden vor ihrer Tür postieren? Sie wissen doch selbst, wie unterbesetzt wir sind. Sie beschweren sich doch ständig, dass wir nicht genug Streife gehen. Glauben Sie vielleicht, da kommt es gut an, wenn ein Beamter rund um die Uhr von der Straße abgezogen wird, bloß weil diese Lady die Klappe nicht halten konnte?« Es war das erste Mal seit Jahren, dass Nasruddin, so zuvorkommend, so angesehen, auf diese Weise abgekanzelt worden war. Und es war bitter zu hören, dass er sich »ständig beschwerte«, wo er gemeint hatte, seine Bitten immer sanft und höflich vorgetragen zu haben.
    Er fühlte sich auf völlig neue Weise exponiert. Am Tag nach der Anhörung wollte er einen Satz Schlüssel bei dem Hausbesitzer abholen, für den er arbeitete. Der Mann, den Nasruddin »Senior« nannte, weil der Sohn genauso hieß wie er, war Metzger. Als Nasruddin ihn aufsuchte, war er in weißer Mütze und weißer, inzwischen blutverschmierter Schürze dabei, ein Lamm auszunehmen.
    Wie üblich hielt der Metzger sich nicht mit Begrüßungen auf, aber statt der üblichen gebellten Anweisungen oder Beschwerden – »Wasserrohrbruch in der Baltic Street 28« oder »Mrs Whiting sagt, Ihre Männer haben nach dem Malern nicht ordentlich gefegt« – bekam er dieses Mal zu hören: »Meine Frau sagt, ich soll Sie rausschmeißen.«
    Nasruddin hatte die Frau im Lauf der Jahre ein paarmal gesehen. Sie war vollbusig, hatte ein ziemlich rotes Gesicht und war immer freundlich zu ihm gewesen. »Aber wieso denn, Sir?«, fragte er, obwohl er es wusste.
    »Weil sie im Fernsehen gesehen hat, wie Sie sich für diesen Muslim eingesetzt haben, und jetzt meint sie, dass Sie auf denen ihrer Seite stehen«, sagte Senior.
    Der Sohn des Metzgers, Junior, war jung, attraktiv und Nasruddins Einschätzung nach nicht besonders hell im Kopf. Er interessierte sich für tibetanischen Buddhismus und Yoga und verschwand manchmal wochenlang aus dem Metzgerladen, weil er »der Muschi seiner Freundin nach Indien hinterhergereist ist«, wie Senior es ausdrückte. Für ihn bedeutete Nasruddins dunkle Haut, dass dieser enzyklopädische Kenntnisse über alles Fernöstliche und Spirituelle besitzen musste, obwohl Nasruddin ihn schon mehrmals darauf hingewiesen hatte, dass das absolut nicht der Fall war, wobei er immer ein dümmliches Grinsen aufsetzte, um der Richtigstellung die Spitze zu nehmen. Er hatte keine Ahnung von Yoga. Er wusste nicht das Geringste über Tibet oder den Buddhismus. Und als Muslim hatte er, anders als Junior angenommen hatte, kein Problem mit dem blutigen Fleisch im Metzgerladen. Doch nein, musste er dann erklären, er wollte kein Eins-a-Fleisch zum Freundschaftspreis kaufen, und nein, er wollte auch keine nicht ganz so hochwertigen Reste geschenkt bekommen, da er ausschließlich Fleisch aß, das halal war. Dann musste er erklären, was ›halal‹ bedeutete – »Es ist so etwas Ähnliches wie koscher, bloß für Muslime«, sagte er und dachte bei sich: Ist es wirklich möglich, dass ein Fleischer nicht weiß, was halal ist? Und gab sich in diesem Viertel voller Iren, Italiener und wohlhabender, bedauernswerter Atheisten selbst die Antwort: Ja.
    An diesem Tag legte der Sohn jedoch eine erstaunliche Weisheit an den Tag. »Hör bloß nicht auf Mom«, sagte er zu seinem Vater. »Du kannst ihn nicht rausschmeißen. Alles, was sie jetzt über die Muslime sagen, haben sie früher über uns Katholiken gesagt. Uns haben sie auch nicht über den Weg getraut.«
    Nasruddin sah ihn dankbar an. Vielleicht hatte er sich in dem jungen Mann geirrt.
    »Man muss sich nur Sorgen über die mit den langen Wallebärten machen«, setzte Junior hinzu. Na gut, vielleicht hatte er sich doch nicht geirrt, dachte Nasruddin und

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