Der amerikanische Architekt
nicht, Sean.«
»Lass mich eine Nacht darüber schlafen, Ma«, sagte er abrupt. »Wir reden morgen weiter.« Er hielt ihr die Hand hin. Sie sah ihn misstrauisch an, dann ließ sie sich von ihm aus dem Sessel helfen. Er schaltete die Lampe aus, und sie bewegten sich gemeinsam durch die Dunkelheit.
24
B eigebraune Wände, abgetretener Teppichboden, kein Fenster – das Zimmer sah aus, als sei es einmal eine Abstellkammer gewesen. Claire fragte sich, ob sich Paul Rubin absichtlich das kleinste Kabuff in seiner alten Bank hatte geben lassen, um sie und Mohammad Khan dort zusammenzusperren. Sie saßen sich viel zu nah an einem schmalen Metalltisch gegenüber, die Wände zu dicht hinter ihren Rücken.
»Lassen Sie sich Zeit«, befahl Rubin von der Tür aus. Das also war der mächtige Mann, der diese Bank einst geleitet hatte, dachte Claire. In der letzten Zeit war er allzu oft verschwunden, hatte sich allzu oft von der chaotischen Führungsaufgabe zurückgezogen. Aber Asma Anwars Tod hatte den geborenen Vorsitzenden in ihm wieder zum Vorschein gebracht. Am Morgen nach dem Mord hatte er sie angerufen und einerseits erschüttert, andererseits brüsk verlangt, dass sie sich mit Khan traf, um ihre zwiespältige Gefühlslage mit ihm durchzusprechen. Er hatte das alles lange genug geduldet, hatte er gesagt, so wie er Khans Verstocktheit lange genug geduldet hatte. Sie musste Gewissheit finden, Khan musste entgegenkommender werden. Als Paul die Tür schloss, hätte es Claire nicht überrascht zu hören, wie ein Schlüssel umgedreht wurde.
Dass sich Khan, schmal und groß wie er war, in seinem eigenen Körper wohlfühlte, kam ihr in dem engen Raum mit Macht zu Bewusstsein. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, gegen Ende der öffentlichen Anhörung, hatte er erschöpft ausgesehen, ausgelaugt. Inzwischen hatte er seine Selbstsicherheit wiedergefunden, und aus irgendeinem Grund fühlte sie sich dadurch verunsichert. Sie saßen sich so nah gegenüber, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als einander in die Augen zu sehen, so wie sie es in jenem Traum gemacht hatten. Bloß hatte sein Gesicht in diesem Traum voller Wärme gewirkt, sie hatte ihm angesehen, dass er ihr alles erklären wollte. Jetzt wirkte es zurückhaltend, verschlossen, sein Ausdruck leidenschaftslos, als habe die Nachricht von dem schrecklichen Ereignis alle erreicht, nur nicht den Mann, der der Auslöser dafür war.
»Das mit Asma Anwar tut mir leid«, fing sie an.
»Mir auch«, antwortete er mit konzentriertem Blick.
»Haben Sie sie gekannt?«, fragte sie. »Ich meine, haben Sie sie nach der Anhörung kennengelernt? Haben Sie mit ihr gesprochen?« Sie hasste sich selbst dafür, dass sie eine tote Frau als Rivalin betrachtete, aber sie konnte nicht anders. Sie musste wissen, ob er Asma, anders als ihr, für ihre Unterstützung gedankt hatte.
»Nein«, sagte er. »Ich habe sie nicht kennengelernt, und ich habe sie auch nicht angerufen.« Claire glaubte, Bedauern, vielleicht sogar Scham in seinem Gesicht zu lesen, was ihr ein Trost war. Dann ging ihr auf, dass sie selbst allen Grund hatte, sich zu schämen. Sie hatte sich auch nicht bei Asma gemeldet, einer Witwe, genau wie sie, die dazu noch von der Ausweisung bedroht war. Vor ihrem inneren Auge sah sie noch einmal die letzten Bilder von Asma in ihrem grünen Salwar Kamiz, grün wie ein Grashalm.
»Dass es ausgerechnet im Verlauf dieses Verfahrens zu einer Gewalttat gekommen ist, ist sehr bitter«, sagte sie. Ihre Worte klangen gezwungen, statisch. Sie vermittelten nicht einmal ansatzweise, wie sehr dieser Mord sie erschüttert hatte. Die Drohungen, die sie selbst bekommen hatte, erhielten dadurch eine neue Realität, obwohl sie wusste, dass sie in ihrer privilegierten Situation, ihrer Abgeschiedenheit, viel geschützter war. Nachts dachte sie mit wild pochendem Herzen an den kleinen Jungen, der jetzt ein Vollwaise war. Das Wort hing bedrohlich wie ein Geier über ihren eigenen Kindern, die ja auch schon den Vater verloren hatten. Sie hatte sich selbst bemitleidet, weil sie eine verwitwete Mutter war, doch dieses Selbstmitleid löste sich beim Gedanken daran, überhaupt keine Mutter mehr sein zu können, in Luft auf. Vielleicht hatte auch Khan Angst. Aber er hatte keine Kinder.
»Da wir noch nicht wissen, wer sie getötet hat, können wir auch nicht sagen, welcher Beweggrund hinter der Tat steckt«, sagte Khan. Die Bemerkung, so rational, ärgerte sie gerade wegen ihrer Rationalität. Das Wer
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