Der amerikanische Architekt
Öffentlichkeit. Die würden mich aus dem Rat schmeißen. Ich habe doch versucht, es Ihnen zu erklären. Die legen sehr großen Wert auf Sittsamkeit.«
»Sollen sie doch ihre eigenen Frauen überwachen.«
»So einfach ist es nicht. Wenn ich mit ihnen zusammenarbeiten will, muss ich ihre Überzeugungen respektieren.«
Es war schon spät, als sie vor dem Haus ankamen, in dem sie wohnte, aber sie lud ihn auf einen Tee zu sich ein. »Sollen wir vielleicht lieber getrennt reingehen?«, witzelte er.
»Ehrlich gesagt, ja«, sagte sie. »Klingeln Sie in fünf Minuten. Apartment 8D.«
Als Claire am nächsten Tag das Gruppenfoto von Khan und der Jury in der Zeitung betrachtete, sah sie dreizehn ernste, sogar finstere Gesichter und Khans Lächeln. Es irritierte sie, denn es schien zu sagen, dass er unempfänglich war für den Groll und die Erbitterung um ihn herum. Und sie fragte sich, ob die Gedenkstätte für ihn vielleicht nur ein Meilenstein auf seinem Karriereweg war.
Bis zu dem Augenblick, als er sich nicht bei ihr bedankte, war ihr nicht einmal klar gewesen, dass sie Dank erwartete. Er musste die Kolumne in der Post gesehen haben, musste eine zumindest leise Vorstellung davon haben, wie viel Mut es sie gekostet hatte, sich so für ihn einzusetzen. Wieso sagte er dann nicht, dass er zu schätzen wusste, was sie tat? Sie sah sich das Foto noch einmal an. Ein Stück Zeitgeschichte, dessen Bedeutung allerdings noch nicht festgeschrieben war. Bevor die Geschichte sich verhärtete und den Eindruck erweckte, nie anders gewesen zu sein, war sie etwas Fließendes, Dehnbares.
Claire griff nach dem Feuilleton der Times, um zu sehen, ob sich jemand zu Khans Entwurf selbst äußerte. Da es nach Khans Pressekonferenz so viel anderes zu berichten gab, hatten die Zeitungen sich bisher nur allgemein über seinen Garten geäußert. Aber heute lautete die Überschrift: »Ein wunderschöner Garten – doch auch ein islamischer?« Ihr wurde ganz flau zumute. Wie der Architekturexperte der Zeitung ausführte, entsprachen die Elemente von Khans Garten, die sie liebte – die Geometrie, die Mauern, die vier Quadranten, die Wasserläufe, sogar der Pavillon –, anderen Gärten, die seit über 1200 Jahren überall in der islamischen Welt angelegt worden waren, in Spanien, im Iran, in Indien, in Afghanistan. Es gab Bilder der Alhambra in Spanien, des Humayun-Mausoleums in Indien und eine Skizze eines typischen Tschahar Bagh, eines viergeteilten islamischen Gartens, daneben der Grundriss von Khans Garten, der der Pressemappe beigefügt worden war. Beide waren sich bemerkenswert ähnlich. Der Kritiker bezeichnete die Gärten als eine der vielen herrlichen Kunstformen, die die islamische Welt hervorgebracht hatte. »Wir wissen natürlich nicht«, schrieb er, »ob diese Parallelen exakt oder gar beabsichtigt sind – das kann nur Mr Khan beantworten, und vielleicht war er sich der Einflüsse, die in ihm zum Tragen kamen, nicht einmal bewusst. Aber die möglichen Folgerungen könnten sich als kontrovers erweisen. Der ein oder andere könnte sagen, er wolle sich über uns lustig machen oder spiele mit seinem religiösen Erbe. Aber könnte er versucht haben, etwas Tiefgründiges über die Beziehung zwischen islamischer und westlicher Welt auszudrücken? Würden diese Fragen, diese möglichen Einflüsse, überhaupt zur Sprache kommen, wäre er kein Muslim?«
Keiner der Juroren – nicht die Künstler, nicht die Experten – hatte daran gedacht, diese Fragen aufzuwerfen, als Khans Identität noch unbekannt war, dachte Claire, und Khans geschliffene Erläuterung seiner Arbeit, die Teil der Bewerbung war, hatte mit keinem Wort darauf hingewiesen.
Im Zweifel für den Angeklagten, entschied sie. Die Ähnlichkeiten konnten rein zufällig sein. Oder vielleicht hatte er sich von diesen wunderschönen Anlagen inspirieren lassen, wozu er jedes Recht hatte. Einen Garten mit islamischen Elementen zu fürchten – und sie musste zugeben, dass ihre erste Reaktion nicht gerade Furcht, aber doch Beklemmung gewesen war –, war genau dasselbe, wie Vorbehalte gegen einen muslimischen Gestalter der Gedenkstätte zu haben. Sie zwang sich zum Weiterlesen.
Die charakteristischen Eigenschaften dieser islamischen Gärten, hieß es weiter, hatten ihren Ursprung aller Wahrscheinlichkeit nach in landwirtschaftlichen und nicht in religiösen Gegebenheiten, insbesondere der Notwendigkeit, große Landflächen zu bewässern. In den ersten Jahrhunderten des Islam
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