Der amerikanische Buergerkrieg
Vizepräsident Stephens starb 1883 als 58. Gouverneur des Staates Georgia. Beide, Davis und besonders Stephens, hatten vor ihrem Tod noch verklärende, zum Teil sogar schönfärberische Geschichten der Konföderation geschrieben, die für geraume Zeit das Bild dieses faktisch höchst unvollkommenen, fragmentarischen Staatswesens und des Bürgerkriegs insgesamt prägten. Sie starben im Süden hochgeehrt und im Norden weithin respektiert, obgleich das beinahe übermenschliche Bild Robert E. Lees beider Andenken weit überstrahlte.
Dieses Bild bleibt gleichwohl viel zu oberflächlich. Es übersieht nicht nur die strukturellen und kulturellen Problemlagen, die das Kriegsende mit sich brachte, sondern es blendet das entscheidende Ereignis jener Tage am Ende des großen Kriegs vollkommen aus: den Tod des Präsidenten Abraham Lincoln. Wenige Stunden nachdem im Hafen von Charleston Kanonenschüsse die Wiedervereinigung der Union als Nation gefeiert hatten, drang im
Ford Theater
in Washington, DC ein Schauspieler in die Loge des Präsidenten ein und rief: «Sic semper tyrannis!» (So ergeht es allen Tyrannen), den Wahlspruch des Staates Virginia. Dabei richtete John Wilkes Booth seine Pistole auf Lincoln und drückte mehrfach ab. Der Präsident brach tödlich verwundet zusammen und starb einen Tag später. Noch am Ostersonntag wurde er beerdigt und von einem der anwesenden Prediger als der gekreuzigte Christus der Union gefeiert. Das gesamte Landverfiel für einige Tage in Schreckstarre. Selbst im Süden fand sich manche besonnene Stimme, die den Tod des konzilianten Lincoln beklagte, stand doch die Frage, wie man mit den einstigen Konföderierten umgehen sollte, noch ungeklärt im Raum. Nur einige radikale Anhänger des Sklavensystems freuten sich offen, im Süden begleitete mancher Fluch Lincoln ins Grab. Andere, insbesondere Iren, nahmen den Tod des Präsidenten fast schon provokant gelassen hin. Lincoln war der erste Präsident der USA, der ermordet wurde (wenn man Verschwörungstheorien über einen angeblichen Giftmord an dem 1850 früh verstorbenen Whig-Präsidenten Zachary Taylor, die 1991 allerdings endgültig widerlegt wurden, nicht einbezieht). Andere sollten sein Schicksal teilen, 1865 aber war es für die Mehrheit der Amerikaner ein unvorstellbares Ereignis, mit dem niemand gerechnet hatte. Hinter dem Attentat stand eine Verschwörung fanatischer Sympathisanten der Konföderation. Gemäß ihrem Plan hätten neben Lincoln auch Außenminister Seward und Kriegsminister Stanton getötet werden sollen, aber in beiden Fällen scheiterten die Versuche der Meuchelmörder. Die Gruppe, insgesamt weniger als zehn Personen, wurde schnell ausgehoben.
Mit Lincoln starb jede Möglichkeit herauszufinden, welche Antworten der siegreiche Kriegspräsident auf die Probleme des Friedens gefunden hätte. Gerade in der Frage des Umgangs mit den eben befreiten Schwarzen war er dabei, seine Positionen zu ändern. Unter dem Einfluß von Douglass, aber auch von seiner Frau Mary Todd Lincoln revidierte er schrittweise seinen überkommenen, tief verankerten Rassismus. Mehr und mehr war Lincoln davon überzeugt, auch Schwarzen das volle Bürger- und Wahlrecht gewähren zu müssen. Schließlich hatten sie im Krieg tapfer und unter hohen Verlusten für ihre Rechte und den Erhalt der Nation gekämpft. In diesem Punkt näherte er sich den Ansichten der Radikalen an. Demgegenüber scheint er bis in seine letzten Lebenstage an den äußerst konzilianten Plänen für die Reintegration des Südens festgehalten zu haben. Sein Nachfolger übernahm diese Pläne und geriet dadurch in einen ausweglosen Konflikt mit dem radikalen Flügel der Republikaner. Lincoln wäre ähnliches kaum erspart geblieben. Es ist daher fraglich,ob er, hätte er überlebt, ebenso eine nationale Ikone geworden wäre wie nach dem Mordanschlag. Sicher ist, daß sein vorzeitiger Tod ihm einen Nachruhm sicherte, der ihm andernfalls kaum gewährt worden wäre.
IV. Der Übergang zum integrativen Nationalstaat
1. Das Ideal der Moderation:
Die frühe Rekonstruktionspolitik, 1865–1866
Angesichts der Probleme der Nachkriegszeit, die sich vor ihm auftürmten, war der neue Präsident Andrew Johnson eigentlich ein bedauernswerter Mann. Selbst größere Geister als er hätten sich mit den Umständen schwergetan, und daß er ein großer Geist war, wagten nicht einmal seine Freunde zu behaupten. Wenigstens eines aus einer Vielzahl von Problemen löste sich besser und schneller, als man
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