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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Peter Bremer
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also auf ekelhafteste Weise, behaupten ließ, es sei auch mit drei Kohlen im Ofen über den Tag schon warm genug? Gönnte er sich vielleicht selbst keine Wärme mehr und bestand sein Leben nur mehr aus dem Wunsch, seine Familie in seine innere Kälte mit hineinzuzwingen? Das Glück, an dem sie hier, gleichsam mit der Wohnung, festhielten, war doch längst schal geworden. Warum nahm er seine Frau draußen auf dem Bürgersteig nicht wieder bei der Hand und spazierte mit ihr durch entlegene Straßen? Warum fuhr er nicht mal wieder mit ihr hinaus? Ganz gleich, vor welchem Haus sie früher standen, in welchem Land sie gerade waren, ob sie gerade durch ein ausgestorbenes Dorf, die Ausfallstraße eines kleinen Städtchens entlang- oder durch ein tristes Neubaugebiet liefen, immer hatten sie versucht, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn sie hier wohnten, und immer hatte ihrer beider Herz dabei fröhlich und aufgeregt gepocht, weil es völlig außer Frage stand, dass ihr gemeinsames Glück sie selbst an diesem unwirklichen Ort aufspüren würde.
    Er atmete tief ein und aus. Ob seine Frau sich wohl auch noch an diese Tage erinnerte? Oder dachte sie, wenn sie nachts allein im Bett lag, ausschließlich an ihre Arbeit? Erkannte sie ihn überhaupt noch, wenn sie den Kopf kurz von der Zeitung hob und zu ihm hinsah, oder hob sie den Kopf nur der angenehmen Empfindung im Nacken wegen? Hatte sie überhaupt noch das Verlangen sich vorzustellen, wie es mit ihm an einem anderen Ort wäre, oder war es ihr mittlerweile gleichgültig, wo sie ihn vermisste? Jede Flucht führte doch in die Irre. Ein kurzes Versprechen und schon stand der Schreibtisch wieder verlassen und bedrohlich da. In Afrika würde er so dastehen und auf arktischem Eis. Statt des Hundes würde dann ein Pinguin zu seinen Füßen liegen, aber seiner Aufgabe als Schriftsteller würde er auch dort nicht gerecht.
    Er schreckte hoch und sah zu seinem Notizbuch. Worin bestand seine Aufgabe als Schriftsteller eigentlich? Bestimmt nicht in der Träumerei, dass es woanders besser sei! Festketten müsste er sich im Gegenteil an diesem Schreibtisch, sich für die nächsten Jahre in der Wohnung einsperren. Statt immer nur sich selbst, mit einem Turban auf dem Kopf, aus einer geschnitzten Tür oder in Fell eingehüllt, mit Robbenstiefeln an den Füßen aus einem Iglu treten zu sehen, bestand doch die Aufgabe eines Schriftstellers vielmehr darin, nachzufühlen, wie andere an diesen Orten lebten.
    Er sank auf das Kissen zurück. Bestand die vornehmlichste Aufgabe eines Schriftstellers nicht darin, wenigstens einen kleinen Teil zum gemeinsamen Einkommen beizutragen oder, wenn dies nicht gelingen wollte, so zu heizen, dass nicht immerzu alle froren? Bestand nicht auch für einen Schriftsteller das Heil in der Aufgabe, sich zumindest hin und wieder mit einem gewissen Wohlgefallen betrachten zu können, als einen schönen Menschen an einem freundlichen Tag, einen Menschen, auf dem nicht jede bevorstehende Stunde wie ein Angsttraum lastete, der nicht immerzu glaubte, als lächerliche Ausgeburt, völlig sinnlos auf der Welt gelandet zu sein, der sich nicht zutiefst schämte, wenn er seinen Namen vernahm, sondern schon an der Art, wie er jetzt aufmerksam den Kopf hob, stolz auf ein ständiges Bemühen verwies? Vielleicht würde es tatsächlich genügen, wenn er diesen Winter ordentlich heizte, wenn er den steten Ärger über ihn in eine stete Freude verwandelte, eine Freude, die bald auch wieder auf ihn selbst abfärbte. Ja, dachte er, einem Berserker gleich und gegen alle eigenen Widerstände würde er im kommenden Winter Tonnen von Kohlen in die Öfen schippen und nur ruhen, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
    Er schloss die Augen. Verwandelt und mit unbändiger Kraft, so würde er aus diesem Winter hervorgehen, sich mit mächtigen Muskeln an seinen Schreibtisch setzen, ein freier Geist, der zu jeder Stunde tollkühne Visionen erschaute und der von seiner Frau mit einem liebevollen Blick empfangen wurde, wenn er federnden Schrittes aus dem Arbeitszimmer kam. Ein Schriftsteller würde er sein, zu dem sein Sohn mit Ehrfurcht aufsah, um dann stolz, vor der ganzen Klasse, seiner Lehrerin von ihm zu berichten. Mein Vater ist ein Mann, Frau Lehrerin, der treu seiner Aufgabe dient. Täglich schickt er meine Schwester und mich auf die Straße. Dann müssen wir wieder neue Notizbücher kaufen, aus denen er am Abend stundenlang unserer Mutter vorliest, und wenn sie uns am nächsten Morgen

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