Der amerikanische Investor (German Edition)
ordentlich mit Wein benetzt, zu beschimpfen beginnt. Ahnt er denn gar nicht, was er an ihr hat, dieser hochmütige Mann? Ein Gesicht so schön wie der helle Mond und ein Blick, als ob die Sonne durch die Wolken bricht. Nicht uns, my friend, ihr müsste er einen Brief schreiben. Jeden Finger einzeln müsste man ihm brechen, diesem frechen Auswurf, wenn er sich nicht gleich erhebt und sich am Schreibtisch für diesen Brief sammelt. Den Kopf müsste man ihm mit einem Hammer einschlagen, wenn er nicht binnen Sekunden zärtliche Worte findet. Aber sieh noch einmal hinab. Glaubst du wirklich, dieser Mensch wird sich zu diesem Brief aufraffen? Niemals! Und deshalb bitte ich dich jetzt, mir Zettel und Stift zu bringen. Einen Brief will ich schreiben, auf den diese Frau im Stillen schon seit Jahren gewartet hat, einen Brief, der ihre Schönheit preist, einen Brief, mit dem ich mich ihr voller Liebe und Leidenschaft zu Füßen legen will, einen Brief, my friend, von dem sie die Augen nur lassen kann, um ihn sich an den schmachtenden Busen zu drücken.
Er fuhr aus dem Kissen hoch und starrte zum Schreibtisch hin. Warum rief seine Frau nicht an? Wo war sie? Lief sie mit wiegenden Hüften durch die Straßen und amüsierte sich? Ging sie das alles hier nichts mehr an?
Er griff sich ans Herz, und indem er dem Pochen nachspürte, sah er die runden Gesichter der beiden Arbeitskollegen seiner Frau vor sich, aber kaum dass er sie erschaut hatte, waren sie auch wieder lautlos zerstoben.
Er schüttelte den Kopf. Nein, von daher drohte keine Gefahr. Aber war er sich da wirklich so sicher? Sollte er nicht auch diesen Punkt heute Abend ansprechen? War das nicht sogar der Punkt, den er schon vor langem hätte ansprechen müssen!
Er atmete tief durch und sah wieder zum Schreibtisch hin. Würde es ihm überhaupt noch gelingen, den Worten seiner Frau Glauben zu schenken? Käme ihm nicht bereits die Art, wie sie ihm heute Abend gegenübersitzen würde, mit unschuldiger Miene in ihr Strickzeug vertieft, so ausgedacht vor, als wäre er in einen Film hineingestolpert? Er war doch längst Teil dieses Films! Wie lange mochte es wohl her sein, dass er sich zuletzt eines seiner eigenen Worte geglaubt hatte? Wochen, Monate oder sogar Jahre? Selbst wenn er der Nachbarin einen »schönen Tag« wünschte, die Kinder fragte, wie es in der Schule war, dröhnten die Worte wie diktiert und so kalt aus ihm hervor, als fehlte ihnen die Wärme seiner Anwesenheit. Auch jetzt lag er so fremd wie aus Versehen verschüttet hier in diesem Bett. Oder war das nur auch ausgedacht? Hatte er sich wirklich zum Ziel dieses Tages gesetzt, dem amerikanischen Investor einen Brief zu schreiben, ein paar heuchlerische und beschönigende Zeilen, in der schalen Hoffnung, sich bei ihm anzubiedern? Glaubte er tatsächlich, auf diese Weise wieder Vertrauen zu sich und den eigenen Worten zu finden?
Er schüttelte wieder den Kopf. Das war doch alles nur ein Missverständnis, ein bösartiges Missverständnis, das sich von außen an ihn herangedrängt hatte. Von nun an würde er versuchen, was es auch koste, wahrhaftig zu sein. Statt immer nur tänzelnd zur Seite auszuweichen, würde er von nun an versuchen, mit jedem seiner Gedanken schrittweise nach vorn zu gelangen. Zu jeder Stunde, jeder Minute und jeder Sekunde würde er sich Ehrlichkeit abverlangen, und wenn seine Frau jetzt anriefe, dann würde er nicht, wie es ihm bereits auf der Zunge lag, mit verstellt munterer Stimme behaupten, er säße am Schreibtisch, sondern er würde aufrichtig sein und ihr sagen, dass er im Bett liegt, dass er schon fast den ganzen Tag im Bett liegt, dass er auch mittlerweile gar nicht mehr vorhabe, sich zu erheben, bis sie nicht endlich nach Hause gekommen sei, dass sie aber natürlich nicht deshalb kommen müsse, sondern weil er etwas Dringendes mit ihr zu besprechen habe, er sei nämlich jetzt zu allem entschlossen und habe auch schon einen Plan, den sie sich gefälligst anzuhören habe, aber nicht am Telefon, weshalb sie auch, ganz gleich, wo sie gerade sei, schleunigst nach Hause kommen solle, denn allein von ihrer Zustimmung oder Ablehnung dieses Planes hänge es jetzt noch ab, ob er weiterhin in Eintracht mit ihr zusammenleben oder ob er auch sie zukünftig zu seinen entschiedenen Feinden zählen werde.
Er sank auf das Kissen zurück. Sobald die Kinder und seine Frau aus dem Treppenhaus vernehmbar wären, würde er sich aus seinem Bett erheben und mit einem gewichtigen Schritt in den Flur
Weitere Kostenlose Bücher