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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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gehorchten mir nicht, sie waren aus Blei, wie mit unsichtbaren Gewichten beschwert.
    Mit einem Mal hörte ich jemanden schreien – durchdringend, scheußlich. Ich wusste, dass es aus dem Zimmer hinter der Tür am Ende des Korridors drang. Endlich hatte ich es bis dorthin geschafft. Als ich nach der Klinke griff, schwang die Tür auf. Es war, als strömte eine furchtbare Wahrheit aus diesem Zimmer. Sie griff mit unsichtbaren Krallen nach mir.
    Ich taumelte durch die Tür und da sah ich es: das Bild mit den beiden Bäumen, das ich in Garrapata Beach gemalt hatte. In diesem Moment erkannte ich, dass ich zu Hause in Vorarlberg war. Genau über unserem Bett hing das Bild mit den Äpfeln, dem Engel und dem Satan.
     
    Ich wagte nicht, Anouk von diesem erschütternden Traum zu erzählen. Womöglich hätte ich diesen irrationalen Eindrücken dann eine Macht über mich gegeben, der ich nicht mehr entkommen wäre. Keiner sollte etwas von meiner ständigen inneren Unruhe erfahren.
    Am folgenden Abend ging Anouk allein aus und ich war froh darüber. So konnte ich ungestört meinen Gedanken nachhängen. Und weitere Nachforschungen anstellen.
    Ich holte den Zettel, den der Polizist Gertl mir gegeben hatte, und wählte die Nummer von Martha und Urs Hürli. Zehnmal ließ ich es klingeln, aber keiner hob ab. Also legte ich wieder auf und fasste den festen Vorsatz, es am nächsten Tag erneut zu versuchen.
    Dann setzte ich mich an den Computer – inzwischen hatte ich mir eine Boot-CD besorgt – und machte mich daran, ihn zu überlisten. Ich saß noch nicht lange, als es an der Haustür klingelte.
    Es war ein ungewöhnlich heißer Abend. Alle Fenster standen offen. Die Klimaanlage hatte ich ausgeschaltet, um den Duft der frühsommerlichen Blüten hereinzulassen.Ich war in Shorts und lief barfuß zur Tür. Wahrscheinlich hatte Anouk etwas vergessen. Fröhlich riss ich die Tür auf und schnitt eine Grimasse, um sie zum Lachen zu bringen.
    Aber vor mir stand Barbara. Mein Grinsen gefror.
    Barbara war heute wie auch das letzte Mal auffällig geschminkt: knallrote Lippen und schwarz umrandete Augen. Doch diesmal trug sie Weiß, ein Sommerkleid mit dünnen Trägern. Wie schon das letzte Mal steckten ihre Füße in schwindelerregend hohen Sandaletten, deren Bänder sie mehrere Male um die Waden geschlungen hatte. Die Fußnägel stachen grellrosa ins Auge.
    »Servus.« Sie strahlte mich an und blickte über meine Schulter ins Haus. »Ich hoffe, ich störe euch nicht. Aber ich dachte, ich bring euch die endgültige Gästeliste. Wer nun wirklich kommt und wer nicht.«
    »Anouk ist nicht da … sie ist bei einem Vortrag in Feldkirch.«
    Barbara schlug – immer noch lachend – die Hand vor den Mund. Etwas theatralisch, wie ich fand. »Ach, das hatte ich ganz vergessen.«
    Ich kam mir unbeholfen vor, barfuß, in meinen Shorts. Noch dazu hatte ich diese pubertäre Grimasse geschnitten. Ich war ganz und gar nicht auf Besuch eingestellt und hatte eigentlich vorgehabt, mich heute intensiv mit meinem PC zu beschäftigen. Aber unhöflich wollte ich auch nicht sein. Also straffte ich innerlich die Schultern und lächelte zurück: »Willst du auf ein Glas hereinkommen?«
    »Warum nicht! Dann können wir gleich noch ein paar Details zur Party besprechen.« Sie blinzelte mich kokett an, was mich nur noch mehr verwirrte.
    Sie trat ein und stolzierte hüftschwingend an mir vorbei. »Klick-klack« machten ihre Absätze auf dem Marmorfußboden.
    Ich holte eine Flasche Wasser und zwei Gläser und stellte alles auf ein Tablett. Dann ging ich zum C D-Spieler und drehte die Musik leiser. Das Tablett brachte ich auf die Terrasse, wo Barbara ein Streichholz an eine große weiße Kerze hielt. Eine Blase aus gelblichem Licht entzündete sich unter ihren Händen. Schatten zuckten über Barbaras Gesicht. Ihr Haar wirkte jetzt schwärzer als schwarz. Wir setzten uns und sahen dem Glitzerspiel der Lichter im Tal und am anderen Seeufer zu. Ich spürte ihren Blick auf mir.
    »Du hast dich verändert«, sagte sie.
    Ich wurde unsicher und nahm einen Schluck Wasser. »Wie meinst du das?«
    »Ich meine nicht nur deine Stimme. Oder die Spuren dieses … furchtbaren Feuers.« Mit einer aufreizenden Geste berührte sie ihre eigene Wange an der Stelle, wo bei mir die Narbe saß. Sie sah mich unverwandt an. Ihr Blick hatte etwas Forschendes, Lauerndes. Barbara erklärte: »Du hörst Klassik. Und noch dazu Satie.«
    Ich nickte, als sei mir das Sonderbare an meiner Wahl selbst

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