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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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bewusst.
    Barbara ließ nicht locker. »Früher war es Rammstein.«
    Ich zuckte zusammen. Also gehörten die gesammelten Werke nicht Anouk, sondern mir.
    »Na ja, so ein Erlebnis verändert einen«, murmelte ich.
    »Ich hoffe, nicht allzu sehr«, bemerkte Barbara anzüglich, räkelte sich auf ihrem Stuhl und schlug die Beine betont langsam übereinander.
    Wir nippten an unserem Wasser. Stille trat ein. Dann griff Barbara nach ihrer Tasche, zog ein Blatt Papier heraus und entfaltete es.
    »Also, eigentlich kommen alle. Bis auf Siggi und Gudrun, die sind in Urlaub, und Patrick, der ist für zwei Monate in Patagonien.«
    Ich griff nach ihrer Liste: »Hm … gut.«
    Die Gesichter auf Siggis und Gudruns Steckbriefen schwirrten mir durch den Kopf – satte Gesichter mit lachenden Mündern. Im Geiste betete ich herab: beide Mitte vierzig, vielbeschäftigte Unternehmer aus Dornbirn, mit mehreren Einrichtungsgeschäften, fahren nur selten in Urlaub. Ich sagte: »Haben sie sich also doch mal entschlossen zu relaxen!«
    Barbara schnaubte: »Ja, ein Wunder, nicht? Die halten sich doch sonst immer für unentbehrlich.«
    Patricks Steckbrief verdrängte Siggi und Gudrun vor meinem inneren Auge. Der Mann war hochgeschossen, in den späten Fünfzigern, Reisefotograf: »Und Patrick ist also auf einem Patagonien-Trip. Da findet er sicher jede Menge Motive.«
    Es funktionierte,
ich
funktionierte. Ich spürte Erleichterung und Euphorie, wie ein Kind, das seine Verse beherrschte. Ein Knopfdruck, und ich hatte die passende Information parat. Wir unterhielten uns noch eine Weile. Ich wurde immer selbstsicherer, machte immer neue Anmerkungen zu gemeinsamen Bekannten. Wie ein Debütant, der erfolgreich seinen Eintritt in die Gesellschaft meisterte. Ich bildete mir ein, dass Barbaras Blick nicht mehr ganz so forschend war. Doch plötzlich sagte sie: »Wie du redest! Du hast dich wirklich verändert.«
    Ich fühlte mich ertappt. Aber sie konnte doch von meinen »Lektionen« nichts wissen! Augenblicklich beschloss ich, mich trotz allem nicht verunsichern zu lassen, und blieb betont cool: »Zwei Jahre USA gehen halt nicht spurlos an einem vorüber.«
    Tonlos sagte sie: »So wird es wohl sein.« Dann fragte sie unvermittelt: »Und mit dir und Anouk ist alles wieder in Ordnung?«
    Im ersten Moment wusste ich nicht, was ich von dieser Frage halten sollte. War es Neugierde, die Barbara dazu veranlasst hatte? Ich empfand es als seltsam, dass sie
mir
diese Frage stellte. Wo doch Anouk ihre beste Freundin war.
    »Es geht uns gut. Die schlimmste Zeit haben wir hinter uns.«
     
    Nachdem Barbara gegangen war, setzte ich mich wieder auf die Terrasse. Noch immer spürte ich Barbaras Forscherblick auf mir. Sie hatte mich keine Sekunde aus den Augen gelassen. Wie viel wusste diese Frau? Vielleicht hatte Anouk ihr – unter Freundinnen –
alles
erzählt?
    Ich trank mein Glas leer, pustete die Kerze aus, stellte die Gläser aufs Tablett neben die Flasche und sah noch einmal in den Lichterzauber, der Deutschland, Österreich und die Schweiz in einer einzigen Kette verband. Die süße Nachtluft stieg mir in die Nase. Fledermäuse stießen über mir ihre seltsamen Schreie aus und Grillen zirpten angeregt im trockenen Gras.
    Gerade wollte ich den Blick abwenden, als ich unter mir, im Garten, eine Bewegung wahrzunehmen glaubte.
    Leise trat ich ans Geländer, sah angestrengt in die gestaltlosen Schatten und lauschte. Mit größter Vorsicht zog ich mich aus dem Lichtschein, der aus dem Wohnzimmer fiel, zurück und bewegte mich langsam auf den unbeleuchteten Teil der Terrasse zu. Im hinteren Eck des Gartens, vor den Eiben, hob sich – ganz schwach nur, aber dennoch unverkennbar – etwas Helles ab. Jemand stand dort hinten und sah zu mir herauf.
    Ein paar Minuten musste ich so dagestanden haben, den Blick auf den hellen Fleck gerichtet. Was sollte ich tun? Rufen? Loslaufen und die Gestalt zu fangen versuchen? Bis ich käme, wäre sie längst über alle Berge.
    Plötzlich hörte ich ein leises, kaum wahrnehmbares Rascheln. Der helle Fleck war verschwunden.
    Minuten später starrte ich noch immer regungslos in die Dunkelheit. Ich scannte den Garten in der Hoffnung, noch einmal einen Blick auf die Erscheinung zu erhaschen. Aber da war nichts Außergewöhnliches mehr zu sehen.
    Verwirrt wandte ich mich ab und ging ins Haus. Auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob das, was ich gesehen hatte, überhaupt real gewesen oder eher meiner überreizten Phantasie entsprungen

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