Der andere Tod
Rücken, meine Haare fühlten sich an wie ein heißer Helm. Ehe ich dazu kam, etwas zu erwidern, begann Anouk, wild in der Erde herumzustochern. Dann zupfte sie ein Kraut nach dem anderen aus dem Boden und warf alles hektisch in einen Korb. Ihre Stimme klang extrem engagiert, als sie sagte: »Weißt du was? Lass
mich
sie anrufen … gleich nachher. Vielleicht klappt’s ja. Es wäre zu schön!«
Ich beugte mich zu ihr hinunter, küsste sie und sagte: »Ich freu mich. Bis heute Abend also. Ach – was hast du dir für diesen Tag eigentlich vorgenommen?«
Anouk machte eine ausladende Geste. »Na, hier weiterzumachen natürlich. Du siehst ja, wie der Garten aussieht, verheerend.«
»Seit unserer Rückkehr arbeitest du ununterbrochen indiesem Garten. Du wirst dich noch überanstrengen. Es ist ja so heiß. Geh doch mal baden. Oder leg dich mit einem Buch in den Schatten.«
»Also, Max, es ist ja lieb, dass du dich so sehr um mich sorgst! Aber glaub mir, es gibt für mich nichts Schöneres, als in diesem Garten zu arbeiten. Ich werde voller Freude wie ein altes Bauernweiblein den ganzen Tag über hier knien.«
»Trotzdem …«
»Was willst du: Der Kühlschrank ist voll, die Meerbäumin kocht mir was Feines, ich brauch mich zwischendurch nur an den gedeckten Tisch zu setzen. Und dann zupf ich ein bisschen weiter. Ich werde heute keinen Schritt aus diesem Garten tun!«
»Na gut. Denkst du dran, deine Eltern anzurufen?«
»Aber ja, ich komm gleich mit rein …«
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich schleunigst los musste. Für zehn Uhr war eine Besprechung mit Wenzlow und Hoffmann angesetzt und ich hatte vorher noch ein paar andere Dinge zu erledigen. Zunächst wollte ich rasch nach Vaduz fahren, um mehr über die Liechtensteiner Firma »Scherer Consult« zu erfahren. Und im Büro würde ich dann die Adressenlisten, die ich aus meinem Computer »gehoben« hatte, mit Barbaras Liste vergleichen. Vielleicht waren auch einige Geschäftskontakte darunter, die zu identifizieren mir Frau Meyer, meine Sekretärin, behilflich sein konnte. Und die Nummern, die dann noch übrig wären, würde ich einfach anrufen. Ich musste nun wirklich mehr Licht in meine undurchsichtige Finanzlage bringen.
Anouk verschwand im Wohnzimmer, ich setzte mich in meinen Wagen und machte mich auf den Weg zur Firma.
Als ich schon fast am Fuße des Pfänders angekommen war, fiel mir ein, dass ich die Listen in der Diele liegengelassen hatte. Außerdem stand auf den Papieren die Adressevon »Scherer Consult« in Vaduz. Zu dumm! Auch wenn dann die Zeit ziemlich knapp würde – ich musste mir dringend diese Unterlagen holen. An einem Feldweg drehte ich und fuhr zurück.
Als ich das Haus betrat, war Frau Meerbaum gerade oben an der Treppe und saugte. Durch die offene Tür zum Wohnzimmer vernahm ich Anouks Stimme. Wegen des Staubsaugerlärms hatte sie wohl nicht bemerkt, dass ich noch mal zurückgekommen war.
Jetzt konnte ich Anouks Worte recht deutlich verstehen: »Ja, Mama, nein, Mama, es ist wirklich alles in Ordnung.«
Offenbar telefonierte sie bereits mit ihren Eltern. Ich nahm die Listen, die noch immer auf dem Schränkchen lagen.
Im Wohnzimmer sagte Anouk gerade: »Er ist dabei, sich einzurichten.«
Ich war im Begriff, die Klinke der Haustür herunterzudrücken, als ich Anouk weitersprechen hörte. »Ja, natürlich ist es schade. Aber er braucht einfach noch ein wenig Zeit. Vielleicht im Herbst. Ja, ich würde euch auch gerne wiedersehen. Aber wir sollten Geduld haben.«
Aus der Küche drang Radiomusik. Das Sonnenlicht fiel durchs Fenster und ließ die Staubpartikel wie winzige Lichtpunkte tanzen. Frau Meerbaum hatte den Staubsauger in ein anderes Zimmer gezogen und die Sauggeräusche drangen nunmehr gedämpft herunter.
Ich war verwirrt.
Was dann folgte, wollte ich nicht wahrhaben. Anouk hob wieder an: »Das ist schön, ja, du hast recht. Die Familie muss wieder zusammenfinden. … Ja, er hat sich wirklich verändert. … Nein, seitdem kein einziges Mal. Er ist jetzt immer sehr liebevoll. … Mama, Menschen verändernsich. … Warten wir doch einfach den Herbst ab. Bis dahin wird er sich eingelebt haben und außerdem ist es hier dann auch viel schöner. Diese vielen Touristen, die das Seeufer bevölkern und die Straßen verstopfen, du weißt schon … Ja, ich hätte euch auch lieber jetzt schon gesehen. Aber es ist einfach noch zu früh für ihn.«
Ich stand da, regungslos.
Draußen fuhr ein Wagen vorbei, in der
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