Der andere Tod
Küche versuchte ein munterer Radiomoderator, Sommerstimmung zu verbreiten.
Vielleicht hatte Anouk mich nicht richtig verstanden? So
musste
es sein. Jedenfalls hatte sie gerade alles daran gesetzt, einen möglichen Besuch ihrer Eltern unmöglich zu machen.
In Vaduz brauchte ich nicht lange zu suchen. »Scherer Consult« lag am Ortseingang, in einer ruhigen Seitenstraße. Nachdem ich mehrfach geklingelt, aber keiner geöffnet hatte, versuchte ich mein Glück bei den anderen Klingelknöpfen des Hauses. Erst beim letzten hatte ich Erfolg.
Ein Immobilienmakler, der sein Büro im Erdgeschoss hatte, schlurfte zur Tür. Er lachte verächtlich, als ich nach »Scherer Consult« fragte.
»Das ist doch nur ’ne Briefkastenfirma. Genauso wie die anderen hier im Haus.« Der Mann deutete auf die vier Schilder über seinem eigenen. »Hoffe mal, Sie haben da kein Geld investiert.«
Ziemlich belämmert stand ich da und verwünschte meine Naivität, die mich hierher geführt hatte. Dann bedankte ich mich rasch, stieg wieder in meinen Wagen und fuhr davon. Im Rückspiegel sah ich, wie der Immobilienmensch mir kopfschüttelnd hinterherschaute.
Wie um alles in der Welt konnte ich jetzt noch irgendetwasüber »Scherer Consult« in Erfahrung bringen? Ich war zu verärgert, um einen sinnvollen Gedanken zu fassen. Noch ein loses Ende, das ich in Händen hielt.
Meine Mitarbeiter waren mir fremd. Ich hatte das Gefühl, als hörte ich Namen wie Sailer, Pfefferberg, Wischnewski, Hoffmann, Kabirske, Meyer zum ersten Mal in meinem Leben. Dennoch merkte ich, dass es mir guttat, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Es waren nicht nur die Leute, die mir gefielen, sondern auch die Sache selbst. Unsere Konzepte und Projekte, Bahn- und Flugsimulatoren, all das faszinierte mich. Das musste ja auch seit eh und je so gewesen sein, zumindest wenn ich Wenzlow glauben sollte. Ich fühlte, dass der Boden unter mir von Tag zu Tag sicherer wurde.
Nach den vergangenen zwei Jahren, in denen ich darauf konzentriert gewesen war, mich selbst wiederzufinden, genoss ich es geradezu, wieder aktiv zu werden und mich meiner Umgebung zuzuwenden. Die Rastlosigkeit, die mich in den letzten Tagen in Garrapata Beach überfallen hatte, die Verunsicherung, die mich von Prag weg- und hierher zurückgetrieben hatte, waren immer, wenn ich mich in meiner Firma aufhielt, verschwunden.
In unserer Zehn-Uhr-Besprechung ging es um alle aktuellen Projekte. Wir diskutierten gerade heiß und effektiv, als mir völlig unvermittelt der Gedanke an die Adresslisten durch den Kopf schoss. Er ließ mich von da an nicht mehr los. Für mich hatte das muntere, unbelastete Arbeiten ein abruptes Ende gefunden.
Gegen Mittag konnte ich endlich dem inneren Drang nachgeben: Ich erstellte einen Ausdruck von sämtlichen in meinem Handy gespeicherten Telefonnummern, nahm Barbaras Auflistung zur Hand und strich alle mir bekanntenNamen durch. Dann legte ich Frau Meyer die Seiten vor, bat sie darum, die Kontakte durchzugehen und alle
ihr
bekannten Namen ebenfalls durchzustreichen. Ich begründete diesen Auftrag damit, meine Kontakte auf den neuesten Stand bringen zu wollen, und sie fand glücklicherweise auch nichts Merkwürdiges daran. Dass es bei dem großen Feuer ein weiteres Brandopfer, nämlich mein Gedächtnis, gegeben hatte, brauchte sie ja nicht zu wissen.
Am Ende blieben neun unbekannte Nummern übrig. Ich klickte ein wenig im Internet herum und konnte weitere acht Nummern streichen. Sie gehörten zu einem Installateur, einem Maler, einem Weinlieferanten und so fort.
Und dann versuchte ich es noch einmal bei Justus Hürlis Eltern.
»Urs Hürli.«
Vor Aufregung wäre mir fast der Hörer aus der Hand gerutscht.
»Mein Name ist Max Winther. Ich weiß nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin, aber ich würde gerne, ähm, Ihren Sohn, Justus Hürli, sprechen.«
Lähmendes Schweigen.
»Hallo? Sind sie noch dran?«
Ein verärgertes Raunen in der Leitung gab mir die Antwort.
»Bitte, ich möchte gerne Ihren Sohn sprechen.«
»Ich habe keinen Sohn mehr.«
Mein Mut sackte ein gehöriges Stück weiter nach unten. Zu spät.
»Das … tut mir sehr leid … Ich … mein Beileid.«
»Das braucht Ihnen nicht leid zu tun«, herrschte Urs Hürli mich an. »Irgendwo in St. Gallen treibt der sich jetzt rum.«
»Er – er ist also nicht tot?«
»Nein. Jedenfalls war er das vor einem halben Jahr noch nicht.«
»Und … wissen Sie, wie ich ihn erreichen kann?«
»Was wollen Sie denn von
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