Der andere Tod
den Abend berichten konnte. Neben mir lag der wunderschöne Blumenstrauß und ich freute mich auf das Restaurant in der Bregenzer Innenstadt.
Anouk entfernte sich immer weiter vom Zentrum, fuhr in Richtung Südwesten, durch Hard, überquerte den Rhein und passierte die Schweizer Grenze. Ich blieb stets einige Wagen hinter ihr, was bei dem hohen Verkehrsaufkommen nicht besonders schwierig war.
Nach einer knappen halben Stunde passierten wir dasOrtsschild von St. Margrethen, wo sie rechts abbog, sich dann wieder links hielt und schließlich vor einem anonymen Wohnblock zum Stehen kam. Diese Häuserzeile war an Hässlichkeit kaum zu überbieten.
Ich hatte gut zwanzig Meter hinter ihr angehalten, vor einer Blumenkastensperre aus Beton, wie man sie in den Achtzigern zur vermeintlichen Verschönerung aufgestellt hatte.
Mittlerweile wollte ich nur noch wissen, was Anouk hier vorhatte. Blumenstrauß und Restaurant waren aus meinem Bewusstsein verschwunden. Ich wunderte mich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie diese mir völlig unbekannte Gegend angesteuert hatte, über die Zielstrebigkeit, mit der sie in die Parkbucht gefahren war – gerade so, als hätte sie das schon tausendmal getan.
Mit entschlossener Miene stieg Anouk nun aus dem Wagen und marschierte flott auf die Haustür von Nummer 37 zu. Ich sah, wie sie rasch einen Blick den Parkplatz hinauf- und hinunterwarf und etwas aus ihrer Handtasche zog. Es musste ein Schlüssel sein. Sie steckte ihn ins Schloss und verschwand kurz darauf hinter der Eingangstüre.
Eine Weile lang saß ich dumpf hinter dem Steuer, der Motor lief und ich starrte immer noch auf die Tür aus Riffelglas, hinter der Anouk verschwunden war. Wie in einer Endlosschleife stellte ich mir permanent dieselbe Frage: »Was macht sie da drinnen?«
Mein Gehirn schob diese fünf Worte im Kreis herum, ohne sich einer Antwort zu nähern. Einen Augenblick lang war ich versucht, mich dem absurden Gedanken hinzugeben, dass es gar nicht Anouk gewesen war, die ich gesehen hatte, sondern eine Doppelgängerin. Doch dann sah ich wieder den Porsche auf dem Parkplatz und erinnerte mich,wie sie vor mir hergefahren war und ich das Kennzeichen entziffert hatte.
Anouk kam nicht wieder heraus. Ich hatte eine gefühlte Ewigkeit regungslos gewartet. Nun hielt ich es nicht mehr aus.
Ich legte den Gang ein und fuhr nach Hause. Es war, als bewegte ich mich durch Watte. Als führe ich durch eine Umgebung, die nicht existierte, in einer Gegenwart, die mir wie ein Zerrspiegel meines Lebens erschien.
Als ich die Diele betrat, war Frau Meerbaum gerade dabei, ihre Handtasche und ihren Schlüssel vom Vitrinenschränkchen zu nehmen. Ihren komischen Hut hatte sie bereits aufgesetzt und den – wie sie es nannte – Staubmantel trug sie über dem Arm. Sie sah mich verwundert an.
»Haben’S schon Feierabend? Na, des nenn’ ich eine Überraschung.«
Ich wunderte mich über diese Frage, weil ich bereits öfters um diese Zeit abends da gewesen war, doch sie fuhr fort: »Früher, da hat die Frau Winther immer g’sagt: ›Wenn mein Mann vor zehn zu Hause ist, dann ist er krank.‹«
Ich brummte eine Erwiderung. Frau Meerbaum ging bereits auf die Tür zu, als ich anhob: »Ach, sagen Sie, wo wollte meine Frau denn hin?«
Sie hielt auf der Schwelle inne, überlegte kurz, sagte dann: »Tja, jetzt wo Sie fragen … Vor ein paar Stunden ist’s losg’fahr’n, zum Gartencenter. Wollt’ Schneckenkorn und Rosendünger b’sorg’n.«
»Wissen Sie noch die genaue Uhrzeit, wann sie weggefahren ist?«
Frau Meerbaum glaubte, ich mache mir Sorgen um Anouk, denn sie antwortete: »Drei wird’s g’wesen sein, mein’ ich, aber so genau weiß ich’s nimmer. Aber machenSie sich keine Sorgen. Sie wird halt jemanden getroffen haben. Vielleicht ham’s noch einen Kaffee getrunken.«
Ich sah auf die Uhr. Anouk war also seit über dreieinhalb Stunden unterwegs. Sie war über die Grenze gefahren, in eine andere Stadt. Mit großer Selbstverständlichkeit hatte sie vor einem mir völlig fremden Haus gehalten, die Haustür aufgesperrt und diese hinter sich zugezogen.
Als Anouk zwei Stunden später endlich nach Hause kam, suchte ich heimlich ihr Gesicht ab nach Spuren eines begangenen Verrats. Was hatte sie dort zu schaffen gehabt, an einem Mittwochabend? Äußerlich gab ich mich unbeteiligt und kramte in irgendwelchen Unterlagen. Innerlich war ich unerträglich gespannt darauf, was sie erzählen würde. Aber sie drehte den Spieß
Weitere Kostenlose Bücher