Der andere Tod
einfach um, indem sie sagte: »Oh, du bist schon da?«
»Ja.«
Sie ging ins Esszimmer und musste dabei unweigerlich auf den Strauß stoßen, den ich in eine Vase gestellt hatte.
»Was für wunderschöne Blumen!«, hörte ich sie rufen. Kurz darauf stand sie wieder in der Tür zum Arbeitszimmer, die Vase in Händen, und fragte leise: »Sind die für mich?«
»Für wen sonst?«
Ein seltsamer Ausdruck huschte über ihr Gesicht, der so rasch wieder verschwand, dass ich schon glaubte, mich getäuscht zu haben. Doch als sie fragte: »Wo hast du die denn her, die sind wirklich bezaubernd!«, lag auch etwas wie Beklommenheit in ihrer Stimme. Vielleicht rätselte sie, in welchem Blumenladen ich gewesen war, ob es der kleine in der Römerstraße gewesen war, während sie dort quasi um die Ecke an der Tankstelle gestanden hatte.
»Wann hast du die denn besorgt? Hier macht doch alles um sechs zu.«
»Ich habe heute früher Schluss gemacht.«
»Oh.«
»Ich wollte dich überraschen.«
»Das ist ja lieb.« Ihre Worte klangen unehrlich, ihre Freude gekünstelt. »Tja, ich war noch unterwegs, ich brauchte ein paar Sachen für den Garten. Das ist aber schade. Wenn ich das gewusst hätte, dass du heute früher kommst!« Sie sprach immer schneller und auf ihren Wangen erschienen hektische rote Flecken.
»Lass nur, das macht nichts. Irgendwann muss ich ja auch mal dieses Zeug hier durchsehen.« Ich deutete auf die Ordner in den Regalen und lächelte zurückhaltend. Anouk hielt den Strauß an ihre Nase und roch an den Blumen, die nicht dufteten.
Wie nebenbei fragte ich: »Warst du sonst noch wo?«
Ihr Kopf fuhr mit einem Ruck hoch. Ich sah schnell weg, während sie mich jetzt direkt fixierte.
»Ja … ich bin noch ein wenig durch die Innenstadt gebummelt. Ich wollte sehen, ob sich etwas verändert hat in den letzten zwei Jahren.«
»Und?«
»Was und?«
»Hat sich etwas verändert?«
Ernten, was man sät
Ich benötigte dringend Abstand – zu Anouk, zu jenem unglücklichen Mittwochabend. So kam mir eine Dienstreise nach Mailand gerade recht.
Einer unserer Simulatoren hatte einen Defekt und ich hatte die Gelegenheit genutzt, Hoffmann zu begleiten und mich wieder mit den italienischen Geschäftspartnern vertraut zu machen.
Auf der Rückfahrt von Mailand tobte ein heftiges Unwetter. Hoffmann, der am Steuer saß, war ganz nah an die Windschutzscheibe herangekrochen, wohl in der Hoffnung, in dieser gekrümmten Haltung etwas mehr von dem Geschehen auf der Fahrbahn zu erkennen. Außerdem schien er extrem kurzsichtig zu sein. Ich verspürte den Drang, auf ein imaginäres Bremspedal im Beifahrerfußraum zu treten. Irgendwann nickte ich ein und wachte erst wieder auf, als wir schon fast an der Einfahrt zum San-Bernardino-Tunnel angelangt waren.
In der Eintönigkeit unter den gelblichen Lichtern im Tunnel flogen meine Gedanken zu Anouk. Ich sah sie vor mir in ihrem weit schwingenden Rock mit dem breiten Gürtel, das rote Seidentuch ums Haar geschlungen, die Augen hinter der Sonnenbrille verborgen. Ihre Füße steckten in roten Sandalen, die einen winzigen runden Absatzhatten, so wie manche Damenschuhe in den 50er-Jahren. Wie attraktiv sie war!
Der Gedanke, dass Anouk einen Liebhaber in St. Margrethen haben könnte, trieb mir eine heiße Röte auf die Wangen. Ich spürte einen seltsamen Kitzel, ein Gefühl, das zwischen Rage und Erregung taumelte und das ich selbst nicht so recht verstehen konnte.
Anouk in den Armen eines anderen Mannes. Anouk, die in einer anderen Umarmung versank, die Süße eines anderen Kusses spürte. Ein Liebhaber! Wäre das nicht der klassischste aller Gründe? Alltäglich und banal, ein Gedanke, den zuzulassen ich endlich den Mut haben sollte.
Aber: Er passte einfach nicht. Passte nicht zu der Liebe, mit der sie mich in der Zeit nach dem Brand umgeben hatte, passte nicht zu der Zärtlichkeit in ihren Blicken, nicht zu den Berührungen und auch nicht zu der Passion, mit der wir uns geliebt hatten. Nun gut, das war vor allem in Amerika gewesen, in Garrapata Beach, und in Prag, zischte mir eine leise Stimme aus dem Untergrund zu. Hatte sich nicht seit unserer Rückkehr immer wieder ein dunkler Schatten über unsere Liebe gelegt?
Was war mit all den Bildern und Alpträumen, die mich fortwährend plagten? Was bedeuteten die Ahnungen, die mich stets bedrückten, wenn ich die Schwelle zu unserem Schlafzimmer überschritt? All das hatte unsere Liebe auf eine harte Probe gestellt.
Doch – so sagte ich mir
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