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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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hätte man genauso gut sagen können, so ein Zustand gleiche einer Fahrt in einer Geisterbahn. Ich wusste nie, wann die nächste Fratze vor mir hochschnellen, wann die nächste Leiche – aus meinem Keller? – vor mir auftauchen würde. Mein Lächeln sackte von den Mundwinkeln.
    In der Mittagspause brach ich auf. Nach einer Dreiviertelstunde Fahrt stellte ich fest, dass St. Gallen eine schmucke kleine Stadt ist. Ich konnte davon ausgehen, früher öfters hier gewesen zu sein, nannte ich doch ein mit Fränkli gut bestücktes Schweizer Nummernkonto bei einer St. Galler Bank mein eigen.
    Nachdem ich auf der Suche nach der entsprechenden Straße zunächst ein paar vergebliche Runden gedreht hatte und immer wieder an derselben Stelle gelandet war, entschloss ich mich doch, nach dem Weg zu fragen. Ein Mann mit freundlich-rundem Mondgesicht bemühte sich, mir eine genaue, aber komplizierte Wegbeschreibung zu liefern.
    Das half mir kaum weiter. Im Wirrwarr der schmalenGässchen fiel mir auf, wie merkwürdig es doch war, dass ich kein GPS in meinem Wagen hatte. Nach ein paar weiteren Runden und zwei weiteren hilfsbereiten Passanten gelangte ich schließlich an mein Ziel.
    Das Antiquariat lag ein wenig außerhalb des Zentrums. Die Straße war breit und gesäumt von einem einzigen endlos langen Gebäude, das mich an Londoner Lagerhäuser erinnerte. Ich zögerte.
    Was erwartete ich mir eigentlich von diesem Gespräch? Was hoffte ich bei einem direkten Zusammentreffen mit Hürli zu erfahren? War nicht ohnehin alles, was er zu sagen gehabt hatte, in den Polizeiakten vermerkt?
    Für einen Moment glaubte ich nicht mehr daran, dass Toni Giaconuzzis Behauptungen, das große Los gezogen zu haben, etwas Besonderes auf sich hatten. Etwas, das in irgendeiner Weise mehr Transparenz in meine Vergangenheit bringen konnte, in dieses Leben, das wie eine Theaterbühne hinter einem rotsamtenen Vorhang verborgen lag.
    Aber ich war nun mal hier und wollte endlich vorankommen. Ich durfte mir keinen Rückzieher erlauben.
     
    Das Antiquariat wirkte verlassen. Im Inneren des Ladens brannte, soweit ich von hier aus erkennen konnte, kein Licht. Überhaupt war außer mir weit und breit kein Mensch zu sehen. Ich blickte auf die Uhr. Mittlerweile war es kurz nach drei. Selbst die kleinen Geschäfte, die gewöhnlich um die Mittagsstunde schlossen, hätten nun wieder öffnen müssen.
    Ich löste den Sicherheitsgurt und stieg aus. Nach der Fahrt im gut klimatisierten Wagen war es, als würde ich von einem Eisschrank in einen Backofen wechseln. Vielleicht hatte ich schon früher die Hitze nicht vertragen. Aber dann dachte ich an Kalifornien und dass ich dort niemalsauch nur einen Anflug von Kreislaufschwäche verspürt hatte.
    Ich sah mich um und ging schräg über die Fahrbahn, direkt auf das Antiquariat zu. Vor dem Schaufenster machte ich halt und ließ meinen Blick über die Auslage schweifen. Eine Unmenge von Büchern blickte mir entgegen. »Sven Hedin« stand auf einigen der grauen und braunen Einbände, über einen Buchdeckel zog eine Karawane, auf einem anderen segelte ein Dreimaster. Keines der Bücher war mit einem Preis versehen. Ein paar kleinere Exemplare in knallrotem Einband lagen auch herum, »Baedeker« stand in goldgeprägten Lettern darauf.
    Ich versuchte, ins Ladeninnere zu spähen, sah aber nur mein eigenes Spiegelbild. So legte ich beide Hände wie ein Schild über die Augen, beugte mich vor und hoffte, hinter den Bücherregalen etwas auszumachen. Doch nichts regte sich. Ich legte in einem müden Versuch die Hand auf die Klinke und erwartete, den Laden verschlossen vorzufinden. Überraschenderweise ließ sich die Tür ganz einfach öffnen.
    Ich trat ein, begleitet von einem blechernen Läuten. Der Geruch von Staub und Trockenheit schlug mir entgegen. Dann hörte ich, wie eine Männerstimme, eine angenehm kräftige und wohlgelaunte Stimme, aus einem Hinterzimmer rief: »Ich chum glich« – »Ich komme gleich« auf Schwyzerdütsch.
    Gerade überlegte ich noch, warum ich eigentlich eine brüchige und zittrige Stimme erwartet hatte, als ein mittelgroßer Typ, etwa in meinem Alter, in Jeans und schwarzem Nike-Shirt mit dem Aufdruck »Berlin Marathon« vor mir auftauchte. Bei meinem Anblick stutzte er kurz. Dann sagte er in nahezu dialektlosem Deutsch: »Ich fass’ es nicht – Max Winther!«
     
    Die Stille, die auf seine Worte folgte, war beinahe mit den Händen zu greifen. Wir standen uns gegenüber, sahen uns an. Justus Hürlis

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