Der andere Tod
hinter jeder Ecke zu treiben!«
Ihre Worte waren wie Peitschenhiebe. Heiße Scham überzog mein Gesicht mit einem fürchterlichen Brennen.
Barbara machte gnadenlos weiter. »Und außerdem: Das mit dem Verheiratetsein war ja nur noch eine Frage der Zeit.«
»Was sagst du da?«
»Komm, komm, jetzt tu mal nicht so unschuldig. Du hast nur noch überlegt, wie du dich am besten aus dieser Ehe davonstehlen konntest, ohne zu viel berappen zu müssen.«
Ich zwang mich zur Ruhe. »Liebe Barbara, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über so etwas zu sprechen.«
»Ach, und wann, Verehrtester, wird der richtige Zeitpunkt gekommen sein?«
»Barbara …«
»Was ›Barbara‹ … Lass doch endlich mal meinen Namen aus dem Spiel! Du willst mich hier am Telefon vertrösten. Oder besser noch: Du willst mich abspeisen! Mit ein paar freundlichen Worten und der Mahnung zur Geduld. Die liebe Barbara ist ja, ach, so verständnisvoll. Weißt du was?« Ihre Stimme wurde lauter und immer schriller.
Ich fand das Ganze nur noch erbärmlich.
Barbaras Wortschwall wollte nicht enden: »Ich habe mir das jetzt eine Weile angeguckt. Am Anfang sagte ich mir noch, man muss ihn schonen. Als wir bei dir auf der Terrasse saßen, in jener Nacht, da dachte ich, ich werd’ nicht mehr! So was kannst du mit mir nicht machen … all die Jahre … Was denkst du, was ich hier ausgestanden habe! Als ich hörte, dass du schwer verletzt bist … Und sie dich nach
Kalifornien
geschleppt hat! Das muss man sich mal vorstellen. Und jetzt bist du wieder da und es ist gerade so, als wärst du ein Fremder! Was hat sie mit dir gemacht, da unten in Los Angeles oder wo auch immer sie dich hinverfrachtet hat?«
Ihre Stimme erstickte. Sie schien mit den Tränen zu kämpfen und plötzlich tat sie mir leid.
Ernüchtert erkannte ich, dass ich, ich allein für das Unglück, das diese Frau empfand, verantwortlich war. Was hatte ich da nur angerichtet? Was hatte ich dieser Frau alles versprochen,
damals
?
Sie war ein Opfer des
früheren
Max Winther. Aber diesen Max Winther gab es nicht mehr und das musste ich ihr begreiflich machen. Als ich nun weitersprach, bemühte ich mich um einen väterlichen Tonfall: »Barbara. Lass uns in Ruhe darüber reden. Und bitte nicht am Telefon. Wie sieht’s bei dir nächste Woche aus?«
»Nächste Woche!«, kreischte sie und ich musste den Hörer ein Stück vom Ohr weghalten. »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich bis nächste Woche warten werde. Ich bin es leid zu warten … Ich habe über zwei Jahre gewartet! Was hat sie bloß mit dir angestellt! Ich will eine Erklärung, und zwar sofort. Sonst werde ich deiner süßen Anouk mal erzählen, was ihr treusorgender Ehemann vor dem Brand so alles getrieben hat … und mit wem!«
»Das wirst du nicht!«
»Wieso sollte ich nicht?« Auf einmal klang sie ruhig, beängstigend ruhig.
»Sie ist deine Freundin.«
»Sie hat dich mir weggenommen … damals.«
Es wurde immer komplizierter. Offenbar war das nur die Spitze des Eisbergs.
Um Zeit zu gewinnen, sagte ich: »Und denk doch mal an Karl.«
»An den?«, erwiderte sie müde. Dann sagte sie unvermittelt: »Wann?«
»Übermorgen wäre gut.«
»Heute.«
»Heute geht’s partout nicht. Ich habe ein wichtiges Geschäftsessen mit Kunden aus Italien. Das kann ich auf keinenFall absagen.« Wie glatt und leicht die Lüge über meine Lippen kam!
Barbara gab nur ein winziges Stückchen nach: »Dann morgen.«
Ich holte tief Luft. »Also gut. Morgen gegen Mittag?«
»Ja, an der üblichen Stelle.«
»Welche meinst du?«
»Du bist wirklich unglaublich! Du tust einfach so, als hättest du alles vergessen!«
»Wo also?«
»In Eichenberg. Ich spreche von dem Wanderparkplatz in Eichenberg.«
»Um eins.«
»Sei pünktlich. Sonst kann es sein, dass ich die Geduld verliere und direkt zu ihr fahre!«
Über der Stadt lag eine Dunstglocke, die die Luft mit Schwere erfüllte. Während ich nach Hause radelte, lief mir der Schweiß beständig in die Augen. Mit jedem Tritt in die Pedale versuchte ich, das Unbehagen wegzustrampeln, doch es klebte wie Pech an mir. Mittlerweile war mir jeder Preis recht. Ich musste die ganze Wahrheit über meine Vergangenheit herausfinden. Und heute Nacht würde ich den nächsten Schritt tun.
Unser Haus war wunderbar kühl. Während die Haustür hinter mir ins Schloss fiel, warf ich einen Blick auf das Display meines Mobiltelefons. Ich war beim Hinauffahren zweimal von einem nicht identifizierten
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