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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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denen, in Trostlosigkeit vereint, einige Teller und Tassen auf ihren Einsatz warteten. In einem Vorratsschrank fanden sich eine Tüte Zucker, Kikkoman-Sojasauce, Reisnudeln, Asia-Cracker, eine lila Büchse Jasmin-Tee und getrocknete Morcheln. Offensichtlich hatte Lewinsky eine Vorliebe für fernöstliches Essen.
    Bei diesem Anblick zuckte ein Gedanke auf. Ich hätte Sennesblätter mitbringen und unter den Tee mischen können. Sie wirkten schon in geringer Dosis herrlich abführend. Ich hätte außerdem den Zucker mit Glaubersalz versetzen können …
    Rasch arbeitete ich mich weiter vor, entdeckte einen Wok, Stäbchen und allerlei andere Utensilien, die die Vorliebe für Asiatisches unterstrichen.
    Dann öffnete ich den Kühlschrank. Gähnende Leere. Obendrein war er ausgeschaltet. In der Tür klemmte das zigfach gefaltete Blatt einer Küchenrolle. Ich ging zum Wasserhahn, drehte ihn auf. Wie zur Bestätigung knallte und gluckerte er. Ein dicker Strahl rostbrauner Brüheschoss aus dem Hahn. Hier hatte schon länger keiner mehr Reisnudeln gekocht.
    Nun fühlte ich mich sicherer. Nacheinander öffnete ich alle Schubladen, drang bis in die hintersten Winkel von Lewinskys Unterschränken vor. Ich wusste nicht, was genau ich zu finden hoffte, ich suchte nichts Konkretes, wie auch! Aber ich registrierte alles. Das Besteck mit den schwarzen Kunststoffgriffen, die chinesischen Schüsselchen und die Porzellanlöffel. Auch die Tassen aus hauchdünnem Knochenporzellan. Von denen wusste ich unbesehen, dass in ihrem Boden der Kopf einer Geisha sichtbar wurde, sobald man sie gegen das Licht hielt. Und so war es auch.
    Etwas verwirrt verließ ich die Küche und begab mich ins Wohnzimmer. Noch im Dunkeln ließ ich die Jalousien herunter – naturfarbene Bambusrollos, wie ich im Schein des Korridorlichts mehr erahnte als erkannte. Dann drückte ich den Lichtschalter, doch nichts geschah. Ich sah mich um und merkte, dass hier gar keine Deckenlampe hing. Im Raum verteilt waren mehrere Stehlampen. Ich schaltete sie ein und ließ den Blick schweifen.
    Das Wohnzimmer war ganz im japanischen Stil eingerichtet und trotz der vertrockneten Pflanzen, die wie eine Batterie Kriegsvergessener auf dem Fensterbrett aufgereiht waren, gefiel mir die sparsame Möblierung. Lewinsky hatte auf jeglichen Tand verzichtet.
    Zum Blumengießen war Anouk jedenfalls nicht hier gewesen, schoss es mir durch den Kopf, während meine Finger die vertrockneten Blätter einer Lucky Bamboo Glückspyramide berührten. Die Wand um die Fenster war bambusgrün gestrichen, auf zwei kleinen roten Lacktischchen standen Schalen aus Bambusholz, in denen frische Räucherstäbchen und Streichhölzer lagen. In der linken hinteren Ecke stand ein Zimmerbrunnen. Er war leer.
    Der Raum enthielt kein Sofa, keinen Sessel, sondern lediglich eine Matte und mehrere bunte Kissen. Was nicht in das fernöstliche Wohnkonzept passte, war eine Bücherwand, die bis zur Decke reichte, eine Bang & Olufsen-Anlage mit zwei futuristischen Lautsprechern in den Zimmerecken sowie ein spiralförmiger C D-Ständer , der ebenfalls bis zur Decke reichte. Auf den Tischchen und auf einem roten Lacktablett am Boden standen unzählige Teelichter in ausgebohrten Steinen.
    Beim Anblick der Kerzen flackerten meine Lider. Polster und Räucherstäbchen, Musik, das leise Plätschern von Wasser im Hintergrund. Plötzlich und ohne Vorwarnung tauchte Anouks Gesicht vor mir auf, ihr Haar auf einem Kissen, ausgebreitet wie ein goldener Fächer, ihre Haut von Kerzenschein übergossen. Ein dunkelhaariger Mann, der sich über sie beugte. Hier also hatten die bittersüßen Liebesabenteuer stattgefunden! Das war ja wie aus einem Film.
    Am liebsten hätte ich die Tischchen genommen und mit ihnen Bang & Olufsen zertrümmert. Doch ich riss mich gerade noch zusammen. Angewidert beugte ich mich zu der Anlage, drehte die Lautstärke auf »minimal« und drückte die Einschalttaste. Dann trat ich zum Regal, und ja, da standen sie tatsächlich: Camus und Sartre, Truman Capote neben Primo Levi, der ›Decamerone‹, aber auch Marx und Engels. Ein giftiges, beißendes Gefühl machte sich in mir breit. Was für ein gebildetes, was für ein prätentiöses Arschloch dieser Lewinsky war. Wenn er nur da gewesen wäre, in diesem Moment! Ich hätte auf ihn einprügeln mögen. Jetzt fehlte nur noch Ravels ›Bolero‹ im C D-Player .
    Die Musik war leise, zu leise, als dass ich sie hätte hören können. Also ging ich noch einmal hin und drehte

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