Der andere Tod
Woche her, dass Anouk ihn besucht hatte. In einem luftigen Sommerkleid, mit roten Lippen war sie wie selbstverständlich durch diese Tür getreten. Hatte er schon mit ausgebreiteten Armen auf sie gewartet?
Mein Gesicht glühte. Unwillentlich überkamen mich Bilder von nackten, sich wälzenden Leibern, von ineinander verschlungenen Armen, von Händen, die gierig nach den Brüsten meiner Frau tasteten.
In diesem Moment ging die Tür auf und eine Frau mit stumpfem, platinblondem Haar, etwa in meinem Alter, kam heraus. Ich fühlte mich ertappt. Sicherlich sah man mir die Art meiner Gedanken nur zu deutlich an.
Ihr Blick streifte mein Gesicht, flüchtig nur. Dann tat sie einen Schritt zur Seite und murmelte: »Pardon.«
Ehe es mir gelang, mich zu fangen, stieg sie in ein Auto und fuhr davon. Warum nur hatte ich sie nicht nach Lewinsky gefragt?
Ich musste weitere eineinhalb Stunden vor dem Haus ausharren, bis der nächste Bewohner, ein knorriger Alter mit einem Pinscher an der Leine, auftauchte.
Diesmal zögerte ich nicht: »Entschuldigen Sie. Ich wollte zu Herrn Lewinsky.«
Der Alte zog seinen Hund, ein zitterndes Häuflein Fell, an mir vorbei, langte mit einer Hand in seine Westentasche und zog einen Schlüssel heraus. »Ja, dann klingeln Sie halt bei ihm.«
»Das habe ich bereits getan.« Ich versuchte, meine Stimme
nicht
zu erheben und den Mann
nicht
am Kragen zu packen und zu rütteln. Für wie blöd hielt der mich!
Der Mann stand etwas ratlos vor mir herum. Seine Bemerkung war offenbar nicht zynisch gemeint gewesen. Ich half ihm auf die Sprünge: »In welchem Stock wohnt denn Herr Lewinsky?«
»Was weiß ich.« Der Mann zuckte die Achseln, schloss auf und blieb stehen, einen Arm in die Tür gestemmt. Das Hündchen tippelte nervös von Bein zu Bein. »Wissen Sie, hier kümmert sich jeder um seinen Kram.« Bei ihm hörte sich das Wort an wie »Grom« und erst im zweiten Moment verstand ich, was er meinte. Das war ja mal ganz was Neues, dachte ich.
Offenbar wartete er darauf, ob ich noch etwas sagen würde. Mir fiel weiter nichts ein als mich zu bedanken. Er zuckte wieder mit den knochigen Schultern und betrat hinter seinem Hündchen das Haus. Die Tür fiel mit einem satten Geräusch ins Schloss.
Einen kurzen Moment war ich ratlos. Aber ich wollte mich jetzt nicht bremsen lassen. Ich dachte an Hürli. Ihn würde ich anrufen! Vielleicht hatte ich Glück und er würde sich an den Namen erinnern.
»Hürli.«
»Max Winther hier. Guten Tag, Herr Hürli.«
»Grüezi, Herr Winther. So geht es Ihnen denn gut.«
»Ob es mir gut geht, weiß ich nicht so genau, aber ich muss Sie etwas fragen.«
»Nachdem Sie neulich so davongestürzt sind! Ich hatte Sorge, Sie würden sich etwas antun.«
»Ich bin doch nicht lebensmüde.«
»Das weiß man vorher nie so genau.«
Eine Pause trat ein.
Hürli brach das Schweigen: »Was wollten Sie mich fragen?«
»Also, wie soll ich sagen … An dem Tag, an dem Sie Giaconuzzi trafen und er diese Bemerkung machte … über meine Frau. Sie sagten, er habe da einen Namen genannt.«
Wieder war es still. Dann raschelte irgendetwas, so, als würde eine Zeitung zugeklappt. Schließlich sagte Hürli: »Herr Winther, es ist lange her. Ich bin mir nicht sicher.«
»Bitte. Wenn Sie sich an irgendetwas erinnern, dann sagen Sie es mir.«
»Ich … ich bin mir eben nicht sicher. Aber komischerweise bilde ich mir ein, dass der Name etwas mit diesem amerikanischen Präsidenten zu tun hatte.«
»Obama?«
»Nein, Clinton. Der hatte doch mal so eine Affäre. Ach ja, jetzt weiß ich’s wieder. Das Gedächtnis baut sich ja die seltsamsten Eselsbrücken. Der hatte doch mal was mit dieser Praktikantin. Hieß die nicht Lewinsky?«
Diese Wahrheit war schwer zu ertragen. Das Blut pochte in meinen Schläfen. Ich blieb eine Weile im Auto sitzen und betrachtete die Eingangstür. Hier also wohnte der Liebhaber meiner Frau.
Es war keine verblasste Affäre, die irgendwann einmal, vielleicht aus dem Überschwang des Augenblicks heraus,ihren Anfang genommen hatte und dann, wie so viele, schnell wieder verklungen war. Nein. Anouk hatte nach unserer Rückkehr den Faden dort wieder aufgenommen, wo sie ihn unmittelbar nach dem Brand abgelegt hatte.
Noch immer konnte ich nicht so recht daran glauben, dass meine Frau so kaltblütig sein sollte. Vielleicht war alles ganz anders. Hatte vielleicht
er
Kontakt zu Anouk aufgenommen, nachdem er von unserer Rückkehr erfahren hatte? Möglicherweise
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