Der andere Tod
ich das Thema nicht weiterverfolgen.
Meine Geduld war langsam zu Ende. Ehe ich näher darüber nachdenken konnte, ob es klug wäre, so mit dem Fremden zu reden, entfuhr es mir: »Warum hätte ich Sie anrufen sollen?«
Wieder schwieg der Mann ein paar Sekunden, als müsste er die Ungeheuerlichkeit dieser Erwiderung erst begreifen. Vielleicht verständigte er sich aber auch für mich unhörbar mit anderen. Er hatte ja die eigenartige Angewohnheit, von sich ausschließlich im Plural zu sprechen. Jetzt hob er wieder an: »Wir haben in der Vergangenheit gut zusammengearbeitet. Warum sollten wir diese Zusammenarbeit nicht fortsetzen?«
Im ersten Moment war ich versucht zu sagen, er solle mich mit was auch immer in Ruhe lassen, ich hätte kein Interesse an seinen mysteriösen Angelegenheiten. Doch dannsiegte erneut der Wunsch, endlich alles besser zu verstehen: »Das kommt ganz auf die Konditionen an.«
»Die Konditionen sind dieselben wie immer.«
War das nun gut oder schlecht? Ich hatte keine Ahnung. Ich beschloss, aufs Ganze zu gehen: »Es ist einige Zeit vergangen. Wir sollten uns, denke ich, über alles noch einmal detailliert unterhalten.«
»Im Prinzip sind Sie also noch interessiert?«
Was sollte ich nun antworten? Worauf würde ich mich einlassen, wenn ich Ja sagte?
Jetzt fielen mir die horrenden Summen ein, die mehr oder weniger regelmäßig auf mein Schweizer Konto geflossen waren. Ich musste mich so bedeckt wie möglich halten. »Wie gesagt: Es kommt auf die Bedingungen an.«
»Ich bin sicher, wir werden uns einigen.«
Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und die Ulme vor meinem Fenster raschelte sanft, als der Wind hindurchfuhr. Ich musste mehr erfahren,
musste
wissen, wer der Mann war und worum es überhaupt ging. »Wann und wo sehen wir uns?«
Er sagte nur: »Ich melde mich wieder«, und legte auf.
Ich saß da, die nach wie vor fettigen Finger um das Handy gekrallt, und lauschte ins Schweigen hinein. Die Sonne kroch immer weiter ins Zimmer, hatte bereits meinen Arm ergriffen und überzog meine Haut mit Wärme. Nach einer Weile raffte ich mich auf und wusch mir die Hände. Dann zog ich die Lamellenvorhänge vor, blieb wieder eine Weile sitzen und dachte nach.
Einige Minuten später wusste ich, wie mein nächster Schritt aussehen würde.
Es klopfte an der Tür.
»Ja, bitte!«
Wenzlow trat ein, ein Blatt Papier in der Hand.
»Die Syrer haben wieder eines von ihren Spezial-Faxen geschickt.«
Die Syrer. Unbeirrt stellten sie in regelmäßigen Abständen und schlechtem Englisch die absurdesten Forderungen. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch.
»Wir müssen jetzt endlich mal entscheiden, was mit dem zweiten Simulator geschehen soll«, sagte Wenzlow mit ungewohnt scharfer Stimme. »Die tanzen uns nur noch auf der Nase herum, wenn wir da nicht bald Klartext reden. Also, was machen wir mit der Auslieferung des zweiten Simulators?«
»Wir machen …«, ich legte eine Kunstpause ein, »gar nichts. Wir werden die Syrien-Sache auf Eis legen und ihnen mitteilen, dass wir die Arbeiten erst wieder aufnehmen werden, wenn die vollständige Zahlung eingegangen ist. Spätestens, wenn an ihrem Simulator ein Defekt ist und er eine Weile stillsteht, werden sie ins Grübeln kommen.«
»Und wenn sie’s einfach so hinnehmen, dass die Anlage halt nicht mehr funktioniert? Das wäre nicht das erste Mal in so einem Land.«
»Also, Wenzlow. Syrien ist kein Entwicklungsland. Ich rechne fest damit, dass sie daran interessiert sind, wie ihre Technik läuft. Denken Sie an Leute wie den Rushdan. Und so gibt es dort noch andere, die wollen, dass ihr Land vorankommt.«
»Ihr Wort in Allahs Ohr. Aber Sie haben schon recht. Das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben. Ansonsten müssten wir uns langsam ernsthaft Gedanken machen.«
Als er nicht weitersprach, hakte ich nach: »Gedanken – worüber?«
»Über das Unternehmen.«
»Wie meinen Sie das? Ich dachte, wir stünden ziemlich gut da?«
»Das tun wir an sich auch … Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit Ihnen darüber zu sprechen. Sie waren ja so selten da in letzter Zeit. Trenitalia hat angekündigt, dieses Jahr keine weiteren Simulatoren in Auftrag zu geben. Bei denen hat’s mal wieder eine Umstrukturierung gegeben. Im oberen Management. Na ja, Sie wissen ja, was das immer heißt. Auf jeden Fall brauchen wir das Geld der Syrer nun umso dringender.«
Wenzlow hatte den Raum bald wieder verlassen. Ich sann unserem Gespräch nach. Ja, das
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