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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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Blick, um zu sehen, was genau er meinte. Doch er lächelte nur verschmitzt und nahm ein anderes, unscheinbares Buch in die Hand. »Der Blick ist gefesselt von den pompösen Dingen, den lauten. Dabei    …«, er schlug das Bändchen auf und hielt es in meine Richtung, »ist dieses viel wertvoller.«
    Ich warf einen oberflächlichen Blick auf die Seiten, ein wenig irritiert, warum er mir das erzählte. Schließlich war es klar, dass ich nicht wegen ein paar stockfleckiger Blätter Papier gekommen war.
    »Dieses kleine, doch überaus feine Bändchen ist eine Erstausgabe – ein Buch über südamerikanische Pfeilgifte – ein äußerst seltenes Exemplar und von hohem Sammlerwert. Aber ich weiß schon. Deshalb sind Sie nicht hier.«
    Ich sah auf von dem unscheinbaren Büchlein, Hürli direkt in die Augen. »Das können Sie sich ja wohl denken.«
    »Kommen Sie erst mal rein.«
    »Hören Sie …«
    »Nun kommen Sie, eine Tasse Tee hat noch niemandem geschadet, vielmehr … Sie wissen ja, Tee klärt den Geist und Sie fühlen sich plötzlich wie Einstein, als er die Relativitätstheorie ersann.«
    Ich verzog das Gesicht. »Im Moment würde es mir schon reichen, wenn ich mich bei einem deutschen Fernsehquiz mittleren Niveaus behaupten könnte.«
    Hürli nickte. Und wieder sah ich ihm bei seiner Teezeremonie zu, doch diesmal wirkte sie eher fernöstlich. Er hantierte mit allerlei rätselhaften Gegenständen, nahm dann einen Bambuslöffel, füllte Wasser in ein Gefäß und schlug schließlich den Tee mit einem kleinen Besen schaumig. Schweigend reichte er mir den Becher. Dann wiederholte er dieselbe Prozedur für sich, setzte sich mir gegenüber und sagte: »Sie werden entschuldigen, wenn ich mir einen eigenen Becher nehme.«
    Auf meinen erstaunten Blick lächelte er augenzwinkernd: »Das japanische Teeritual. Man trinkt aus
einer
Tasse. Aber wir Westler haben für die ganze Zeremonie ohnehin keine Muße. Glauben Sie mir, regelmäßig betrieben ist sie eine meditative Reinigung des Geistes.«
    Er betrachtete den seladongrünen Tee in seinem Becher. Einen Moment lang war es, als lauschte er dem Klang der eigenen Worte nach. Dann nahm er einen Schluck von der dampfenden Flüssigkeit. Sie musste beinahe noch kochend heiß sein, doch Hürli verzog keine Miene. Er setzte sich zurecht, den Rücken sehr gerade, faltete die Hände wie zum Gebet und wandte sich mir zu. Er lächelte.
    Ich nahm meinerseits einen Schluck und verbrannte mir sofort die Lippen. Mit aller Mühe unterdrückte ich einen üblen Fluch. Hürli betrachtete mich mit sphinxhaftem Blick.
    »Ich bin eher ein Kaffeetrinker«, sagte ich entschuldigend.
    »Das sind wohl die meisten. Deswegen ist es ja so schlecht bestellt um diese Welt. Der Kaffee lässt die Menschen rasen, sie haben keine Zeit mehr, sie nehmen sich keine Zeit mehr. Und dann wundern sie sich, was bei ihrer Raserei herauskommt. Aber lassen wir das.«
    Ich straffte die Schultern, holte Luft, stieß sie aus und sagte dann: »Woher wissen Sie es?«
    »Von einem Freund.«
    »Und dieser Freund hat ihn gesehen? Wo?«
    »Bei euch drüben. Auf einer Bank am See.«
    »Vielleicht war es gar nicht Giaconuzzi?«
    »Vielleicht nicht.« Hürli sah mich ernst an. Seine Miene verriet nichts, aber auch gar nichts. »Vielleicht aber doch.«
    »Wer ist … dieser Freund?«
    »Ich habe viele Jahre in einem bestimmten Milieu zugebracht, Drogenabhängige, Penner, Dealer, Kleinkriminelle, Nutten. Da gibt es immer noch – sagen wir mal so –
Verbindungen
. Auch wenn ich mittlerweile ausgestiegen bin.«
    Eine Weile lang schwiegen wir beide.
    Hürli kramte ein vergilbtes Foto zwischen zwei Papierstapelnhervor. »Schauen Sie, das ist Giaconuzzi. Es ist natürlich ein altes Foto. Wir fanden es irgendwann mal urkomisch, uns gegenseitig in solch eigenartigen Posen abzulichten. Na ja, wenn man auch sonst den lieben langen Tag nichts zu tun hat … Angeblich soll er sich nicht stark verändert haben. Nur ein bisschen mehr Farbe wird er jetzt im Gesicht haben, Sie wissen ja,
Brasilien … «
    Ich sah mir das Bild genau an, konnte aber mit dem Gesicht dieses Mannes nichts anfangen.
    Schließlich fragte Hürli: »Warum erzählen Sie mir nicht einfach alles?«
    Ich wandte den Blick ab, beugte mich leicht nach vorne und versank für einen Moment lang in der Betrachtung des seladongrünen Tees, hoffend, dass auf dem Bechergrund die richtige Antwort abzulesen wäre. Sollte,
konnte
ich Hürli alles erzählen, einfach so?
    Plötzlich war

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