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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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Fotografie umgestiegen war, hätte es doch irgendwo ein paar alte Ablichtungen von ihm aus »vor-digitalen« Zeiten geben müssen. Meinetwegen mit seiner Schultüte oder von der Abiturfeier oder vom Saufen bei der Bundeswehr.
    Ich vermisste
irgendetwas
, was die Person Lewinsky für mich plastisch gemacht hätte. Irgendetwas, was über die bloße Tatsache hinausging, dass er es mit meiner Frau trieb, bei Kerzenschein und Räucherstäbchen.
    Aber das war doch nicht möglich!
    Ein zweites Mal nahm ich mir Lewinskys Wohnung systematisch vor. Trotz Zeitnot arbeitete ich diesmal bedächtiger und gründlicher.
    Umsonst.
    Hier war rein gar nichts Persönliches zu finden. Kein Liebesbrief, nicht einmal irgendein Brief oder eine lumpige Ansichtskarte mit nichtssagenden Urlaubsgrüßen, kein Sparbuch, keine Bankunterlagen, kein Lebenslauf, keine Zeugnisse.
    Das Einzige, was mir zusätzlich auffiel, war die dicke Staubschicht, die auf allem lag. Lewinsky musste in der Tat schon länger fort sein.
    Es war gerade so, als wäre die Wohnung nur eine Attrappe, ein Potemkinsches Dorf. Vielleicht war diese Wohnungeinfach bloß als Liebesnest angemietet worden? Vielleicht lebte Lewinsky sonst gar nicht hier? Wo – wenn nicht hier – hatte er seinen Lebensmittelpunkt?
    Die Müdigkeit brannte unter meinen Augendeckeln. Enttäuscht und resigniert sank ich auf einen Stuhl. Mein Plan, Anouk wie ein Racheengel mit flammendem Schwert und unwiderlegbaren Beweisen für ihren Verrat gegenüberzutreten, sackte in sich zusammen wie ein Gebilde aus Sand.
    Erschöpft erhob ich mich, erschöpft warf ich einen letzten Blick auf die Wohnung, die mir so gar nichts erzählen wollte. Alles, was ich mit nach Hause tragen würde, wäre ein neuer virtueller Bildband mit rätselhaften, aus dem Nichts auftauchenden Szenen von Anouk, die in dieser Wohnung, vor dieser Kulisse, wie in einem Schattentheater herumgeisterte.
    Wie immer in den Momenten absoluter Ratlosigkeit fielen mir Julies Ermahnungen ein: Ich solle versuchen, neu in mein Leben einzusteigen. Auf keinen Fall solle ich meiner eigenen Vergangenheit wie ein Detektiv hinterherjagen:
Don’t be your own detective
, so hatte mich die Psychologin zum Abschied ermahnt. Ich erkannte einmal mehr, dass sie recht gehabt hatte.
    Aber nun hatte ich eben einen anderen Weg eingeschlagen. Und ich musste meinem inneren Drang folgen. All diese versunkenen Erinnerungen, dieses verschüttete Leben, ich wollte es – verdammt noch mal – zurück! Egal, was Julie, egal, was sämtliche Psycho-Koryphäen dazu sagen würden.
    Don’t be your own detective.
Sie hatten leicht reden! Den lieben langen Tag hörten sie sich die Elendsgeschichten anderer Leute an, dann traten sie hinaus aus dem Elend und gingen zurück in ihr eigenes gesundes Leben. Dortgab es natürlich keine quälenden Erinnerungsfetzen, keine Alpträume mit immer wiederkehrenden Bildern und keine Gespenster aus der Vergangenheit, die unerfüllbare Ansprüche auf sie anmeldeten.
    Und außerdem: Das hier war etwas ganz anderes. Diese Wohnung hier hatte doch mit meiner eigenen Vergangenheit nur indirekt zu tun. Das hier war die Story einer Frau, die einen Mann betrog, der wiederum versuchte, für sich und für sein Leben Klarheit zu erlangen.
    Dann hatte ich eine Idee: Wenn ich schon nicht mein eigener
detective
sein durfte – und auch nicht sein konnte   –, was hinderte mich daran, einen anderen, einen
richtigen
Detektiv einzuschalten?
    Mit einem Mal war alle Müdigkeit verflogen. Das war ein großartiger Lichtblick! Ich würde einen Privatdetektiv damit beauftragen, so viel wie möglich über Lewinsky herauszufinden.
     
    Unser Haus lag in abweisendes Dunkel gehüllt. Ich hoffte, Anouk läge in tiefem Schlummer und ich würde es ins Bett schaffen, ohne dass sie aufwachte. Beim besten Willen hätte ich nicht gewusst, welche harmlose Erklärung ich ihr dafür hätte liefern sollen, dass ich um diese Zeit unterwegs gewesen war.
    Leise schloss ich die Haustür auf, leise betrat ich die Diele und lauschte. Nichts. Im Dunkeln fand ich meinen Weg ins Bad, entledigte mich nahezu geräuschlos meiner Kleider, schlüpfte in den Schlafanzug und betrat ebenso geräuschlos das Schlafzimmer.
    Totenstille. Kein Atmen, kein Seufzen, kein noch so leises Anzeichen dafür, dass jemand in Träume versunken im Bett lag und schlief.
    Als meine Augen sich an die Schatten und Umrisse imSchlafzimmer gewöhnt hatten, erkannte ich, dass Anouks Decke zurückgeschlagen war. Das Bett

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