Der andere Tod
hatte ich gerade noch gebraucht: eine weitere Front, an der ich kämpfen sollte!
Die Meyerin betrat das Büro. Ich hatte ihr Klopfen gar nicht gehört. Sie wollte in die Mittagspause gehen und fragte, ob sie mir etwas zu essen mitbringen sollte.
Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits fünf nach eins war. Seit fünf Minuten wartete Barbara in Eichenberg auf mein Erscheinen.
Ich erinnere mich, dass ich in jenem Sommer nach unserer Rückkehr aus den USA wie von Furien gehetzt durch die Tage rannte. Und so rannte ich nun im konkretesten aller Sinne zu meinem Wagen, sprang hinein und raste die Straße aus Bregenz hinaus in Richtung Eichenberg. Es herrschte nicht viel Verkehr und trotzdem hatte ich das Gefühl, von bleiernen Kugeln gehalten zu werden.
Den Parkplatz, den Barbara mir genannt hatte, fand ich nicht auf Anhieb. Ich hämmerte immer wieder wütend aufs Lenkrad. Schließlich hielt ich vor einem schindelgedeckten Bauernhaus, um mich nach dem Weg zu erkundigen. Nachdem ich eine misstrauische Frau überzeugt hatte, dassich sie weder überfallen noch ihr etwas verkaufen wollte, schlug es von irgendwoher halb zwei. Als ich endlich in den Parkplatz einbog, war er leer.
Ich war zu spät gekommen. Und Barbara hatte nicht auf mich gewartet.
Ich nahm mein Handy, drückte Barbaras (unter »Barba rella «!) gespeicherte Nummer und lauschte. Gleich nach dem ersten Klingelzeichen sprang die Mailbox an. Barbara hatte ihr Telefon ausgeschaltet.
Im ersten Moment spürte ich eine naive Erleichterung darüber, mich dieser Begegnung nicht aussetzen zu müssen. Wie ein Kind, das sich erfolgreich vor einer Klassenarbeit drückt in einem Fach, in dem es gewöhnlich zwischen 5 und 6 steht. Zugleich ist klar, dass das dicke Ende nachkommt, dass man besagte Prüfung nämlich am nächsten oder übernächsten Tag nachholen muss. Und dann ist man kaum besser vorbereitet.
Im zweiten Moment versuchte ich mich in der Prophezeiung, wie Barbara nun weiter vorgehen würde. Doch so sehr ich mir auch den Kopf zerbrach, ich kannte sie zu wenig, um ihre künftigen Handlungen vorhersagen zu können.
Natürlich hätte ich nach ihr suchen können. Ich hätte an ihrem Haus vorbeifahren und nachsehen können, ob ihr Wagen davorstand. Und wenn das dann tatsächlich der Fall gewesen wäre? Sicherlich war das gemeinsame Zuhause von Karl und Barbara nicht gerade die ideale Plattform für diese Sorte von Gespräch.
Ich überlegte hin und her und kam zu dem Schluss, dass ich dennoch zu Barbaras Haus fahren musste. Schon einfach der Fairness wegen. Und so startete ich erneut den Wagen, diesmal mit Kurs auf das Hinteregger’sche Anwesen.
Unterwegs probierte ich wieder, Barbara auf ihrem Handy zu erreichen. Fehlanzeige. Dann wählte ich sogar dieNummer ihres Festnetzanschlusses, doch auch hier ohne Erfolg. Als ich schließlich langsam an Barbaras Haus vorbeirollte, lag es still und abweisend unter einer gnadenlosen Mittagssonne.
Kein
Wagen war davor geparkt.
Ich wollte den Blick gerade abwenden. Da war es mir, als hätte ich ein Gesicht hinter der Scheibe gesehen. Es verschwand so rasch wieder, dass ich nicht wusste, ob ich mir das Ganze nur eingebildet hatte. Hätte ich geahnt, welches Drama dort am Pfänder bald seinen Lauf nehmen sollte, so hätte ich vielleicht doch angehalten und geklingelt.
An jenem Nachmittag war ich mit meinen Gedanken noch lange bei Barbara. Vielmehr bei all dem, was sie über mich gesagt hatte. Wiederholt hatte sie darüber gesprochen, wie fremd ich ihr seit meiner Rückkehr geworden sei. Das ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Und eigenartig: Ich empfand ja auch mir selbst gegenüber diese Fremdheit.
Nichts schien sich zusammenfügen zu wollen. Zu viele offene Fragen existierten noch immer und täglich kamen neue Puzzleteile hinzu, die das Bild, das ich mühsam zu erstellen versuchte, störten.
Fremd, ein Fremder.
Und über allem schwebte Hürlis Verdacht, dass der Tote nicht Giaconuzzi war. Aber wer hätte es sonst sein sollen?
Als ich an diesem Abend viel früher als geplant nach Hause kam, empfing mich Stille. Ich hatte den Wagen vor der Garage geparkt, um kein Geräusch zu machen. Was ich mir davon versprach, wusste ich auch nicht so genau. Vielleicht hoffte ich insgeheim, ein Telefonat zwischen Anouk und ihrem Liebhaber Lewinsky belauschen zu können.
Langsam ging ich von der Diele ins Wohnzimmer und von dort nach oben ins Schlafzimmer. Ich suchte das ganze Haus ab, aber Anouk schien gar nicht
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