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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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ziehen. Er polterte unter meinen hastigen Schritten. Die Umstehenden verfolgten kopfschüttelnd meine Sondervorstellung.
    Die Anlegestelle war voller Gesichter. Welch wunderbarer Querschnitt durch alle Bevölkerungsschichten: Männer, Frauen, Kinder – mit und ohne sperrige Buggys, über die ich fast gestolpert wäre–, eine Gruppe Rentner in beiger Kleidung, eine Großfamilie mit quengelnden Kleinkindern und gelangweilten Pubertierenden.
    Ich bewegte mich langsam mit dem Pulk und sah mich unauffällig um. Mit der Zeit zerstreuten sich die Leute. Als sich die Ansammlung beinahe ganz aufgelöst hatte, sagte eine Stimme hinter mir: »Kommen Sie!«
    Nur diese zwei Worte.
    Zögerlich setzte ich mich in Bewegung und folgte dem Rücken des Mannes, in dem ich den Südländer vom Schiff erkannte. Er führte mich die Seepromenade entlang, mitten durch die Menge, vorbei an Pflastermalern und Verkäufern von Drahtfiguren. Ich hielt mich einige Meter, vielleicht drei, vier, hinter ihm, und strengte mich an, seine Silhouette mit dem weißen Hemd und dem schwarz glänzenden, nach hinten gegelten Haar keinen Moment aus den Augen zu lassen.
    Wir verließen die Promenade, bogen nach rechts ab, gingen an einem Kiosk vorbei und stiegen ein paar Stufen hinauf auf eine Art Plattform. Hier standen schöne alte Bäume. Jetzt befanden wir uns einige Meter über dem See. Unter uns klatschten die Wellen an die Befestigungsmauer.
    Wahrscheinlich hatte ich einen Augenblick zu lange aufs Wasser geschaut. Plötzlich war der Südländer weg.
    Ich sah mich um. Außer einem älteren Herrn, der mit dem Rücken zu mir auf einer Bank saß, war kein Mensch zu sehen. Ich stand ratlos herum. Was wurde hier eigentlich gespielt?
    Als ich mich gerade zum Weitergehen entschloss, erhob sich der Mann von der Bank und kam langsam auf mich zu. Von vorne sah er jünger aus als ich zunächst vermutet hatte. Er war höchstens Mitte fünfzig. Auf äußerst beunruhigende Weise strahlte er die Autorität desjenigen aus, der zu befehlen gewohnt ist.
    Mittlerweile hatte er mich fast erreicht. Ein eisiges Lächeln, das für die Ewigkeit festgefroren schien, unterstrich, wie aufgesetzt sein ach so herzlicher Tonfall war: »Herr Winther. Ich freue mich, dass es doch noch zu diesem Treffen gekommen ist.«
    Er streckte mir seine Hand entgegen, die ich schweigend schüttelte. Sein Händedruck war trocken, aber seltsam schlaff, und stand in deutlichem Gegensatz zur Schärfe in seinem Blick. Dann drehte er sich dem See zu, die Hände auf die Mauer gestützt.
    Eine lange Pause entstand. Ich versuchte, mich innerlich zu stählen, und hielt die Nervenprobe durch.
    Endlich sagte er: »Es ist schön, dass es Ihnen wieder gut geht. So ein Brand, das kann bös’ ausgehen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Er lächelte wieder, beinahe nachsichtig. »Feuer ist unberechenbar, das weiß man doch.«
    Trotz der Schwüle trug er einen Anzug aus grauem Tuch und schien darin weniger zu schwitzen als ich in meinem kurzärmeligen Hemd. Seine Augen waren grau, sein Blick milde, insgesamt wirkte er ruhig. Doch all das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Mann etwas latent Bedrohliches an sich hatte.
    Als könne er Gedanken lesen, fragte er betont sanft: »Wie geht es Anouk?«
    Ich zuckte zusammen. Anouks Namen aus dem Munde dieses Fremden zu hören, machte mir Angst. Und so war es jetzt an mir, zu schweigen und aufs Wasser hinauszuschauen. Ich blieb ihm die Antwort schuldig. Innerlich kochte ich. Dann holte ich tief Luft. »Was wollen Sie von mir?«
    Eine Familie mit drei Kindern tauchte an der Treppe auf. Sein Blick verweilte auf einem etwa drei- oder vierjährigen Jungen, der mit einem Stöckchen im Kies herumstocherte. »Wir haben Ihre Mitarbeit immer sehr geschätzt.«
    Aha. Jetzt kamen wir der Sache also näher. Was um Himmels willen hatte ich mit diesen Typen zu schaffen gehabt? Aus Unsicherheit wartete ich einfach ab.
    Schließlich rückte er mit der Sprache heraus: »Wir haben wieder eine Sendung. Am 25. findet die Übergabe statt. Wären Sie bereit?«
    Er betrachtete mich abwartend. Ich nickte vorsichtig. Wahrscheinlich war es klüger, sich zuerst entgegenkommend zu zeigen. Dann fragte ich beiläufig, so, als wüsste ich im Grunde über alles bestens Bescheid: »Wo und wie?«
    Mir wurde heiß und kalt bei dem Theater, das ich dem Mann vorspielte, und ich hoffte, dass mein Täuschungsmanöver nicht bald wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen würde.
    »Mit dem Flieger nach

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