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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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Moskau, dort Übergabe am üblichen Ort. Allerdings …« Er hielt inne und sah nachdenklich zu dem kleinen Jungen mit dem Stock hinüber. Dann nahm er den Faden wieder auf: »Allerdings müssten Sie die Sendung per PKW nach Deutschland bringen. Am Domodedovo hat ein Belegschaftswechsel stattgefunden. Und wir wissen, dass sie zur Zeit sehr streng und sehr gründlich kontrollieren.«
    Ich wusste nur, dass Domodedovo einer der Moskauer Flughäfen war.
    »Also    …«, fügte der Graue hinzu, »auf dem Landweg zurück und die Aushändigung in München.«
    Ich nickte, um möglichst unverbindlich zu bleiben. Dann fiel mir eine Frage ein, die jemand an meiner Stelle bestimmt gestellt hätte: »Und die Konditionen?«
    Wieder lächelte der Graue, als hätte ich etwas Vorhersehbares und gleichzeitig Köstliches gesagt. Wie zur Begrüßung eines alten Freundes rief er halblaut aus: »Na also, da sind wir wieder!«
    Ich wartete stumm auf seine Antwort.
    Er musste nicht lange überlegen: »Das Übliche plus fünfzigtausend.«
    Angestrengt dachte ich darüber nach, was wohl »das Übliche« sein mochte und ob ich früher sofort eingeschlagen hätte. Nein, dieser Max Winther von damals musste ein knallharter Typ gewesen sein. Und so forderte ich: »Plus hunderttausend.«
    Ein Grinsen breitete sich auf den Wangen des Fremden aus. Bei jedem anderen hätte es einladend und freundlich gewirkt. Dieser Mann jedoch behielt seine düstere Aura. Die Augen schimmerten eisgrau und dämonisch. Meine ursprüngliche Absicht zu handeln verpuffte im Nichts.
    »Mein lieber Herr Winther, wie kommen Sie darauf,dass wir neuerdings eine Gelddruckerei betreiben? Maximal sechzigtausend.«
    Ich nickte so, als müsste ich das Gesagte abwägen. Dann sah auch ich hinaus auf den See, der heute besonders fahl und abweisend dalag. Die Familie war inzwischen über die Stufen auf der anderen Seite der Plattform verschwunden. Ihre Stimmen verloren sich in der Ferne. Jetzt erst sah ich den Grauen an und fragte mit fester Stimme: »Was haben Sie Anouk angetan?«
    Sein Ausdruck blieb unbeweglich. »Sie sollten mir vielleicht ein paar Dinge erklären, Herr Winther.«
    Von diesem Pokerface würde ich mich nicht verunsichern lassen. Und so wiederholte ich schlicht: »Was haben Sie mit Anouk gemacht?«
    Immer noch glich sein Gesicht einer venezianischen Maske. Doch dann schien er sich plötzlich entschieden zu haben, die Taktik zu ändern. Betont verbindlich und interessiert fragte er: »Was ist denn geschehen?«
    Bevor ich antwortete, suchte ich sein Gesicht nach irgendeinem, und sei es auch noch so kleinen verräterischen Zeichen ab. Aber ich konnte nichts Verdächtiges erkennen. Musste ich mich geschlagen geben? Tonlos erwiderte ich: »Ich dachte, Sie wüssten es.«
    »Sie täuschen sich. Was auch immer Sie mir nicht sagen möchten, wir haben nichts damit zu tun.«
    Auf einmal fühlte ich, wie eine große Müdigkeit von mir Besitz ergriff. Sie legte sich schwer auf meine Schultern, durchsetzte meinen Körper mit Nachgiebigkeit und mündete in der puren Unlust, überhaupt noch zu denken.
    Ich nickte schweigend. Was hätte ich auch tun sollen? Welchen Sinn hätte es gehabt weiterzusprechen? Dieser Mann war undurchschaubar und sicher brauchte es ein anderes Kaliber als mich, um ihn zum Reden zu bringen.
    Das Stück, das ich hier spielte, war vorbei, das Schlusswort gesprochen. Die Schauspieler würden nun, nach Spielende, die Bühne verlassen.
    Wortlos drehte ich mich um und ging fort. Ich wusste nicht, wohin ich meine Schritte lenken sollte, aber ich setzte mich einfach in Bewegung und ging. Die Treppen hinunter, am Yachthafen vorbei, wieder zur Schiffsanlegestelle, wo ich endlich stehen blieb.
    Zuerst einmal musste ich ja zurück nach Bregenz. Mühsam bahnte ich mir einen Weg durch eine Gruppe von Sommergästen, bis ich am Fahrplan angelangt war. Das nächste Schiff zurück würde erst in zwei Stunden gehen. So lange konnte und wollte ich nicht warten, also machte ich mich auf zum Bahnhof direkt gegenüber der Anlegestelle.
    Hastig stieg ich die grauen Steinstufen hoch und hatte insofern Glück, als der Zug nach Bregenz bereits abfahrbereit am Gleis stand und ich nur noch hineinspringen musste. Völlig erschöpft ließ ich mich auf einen Sitz fallen und lehnte den Kopf zurück. Der Zug setzte sich in Bewegung. Draußen zogen Segelboote, Wiesen und Obstplantagen vorüber.
    Ohne spezielle Absicht kramte ich in meinem Rucksack und stieß auf das Buch, das ich aus

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