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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
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schon.«
    »Wart’s ab. Zieh dich an, wir dürfen die Fähre nicht verpassen.«
    »Warum? Wer kommt?« Er rutschte auf seinem Stuhl herum. »Bekomme ich Besuch?«
    »So etwas Ähnliches.«
    Ich folgte Luke die Treppe hinab in unser Schlafzimmer und warf mich auf mein Bett, während er seinen Pulli über die schwarzen Locken zerrte und die Klettverschlüsse über seinen Turnschuhen zuzog. Wie ich diese Turnschuhe hasste. Nichts als Spielzeug, mit diesem Klettband und den roten Lämpchen, die in jedem Absatz blinkten. Kindisch. Niemals hätte ich mir selbst so etwas ausgesucht. Er warf mir einen verstohlenen Blick zu. »Was glaubst du? Wer ist es?«
    »Keine Ahnung. Dein Vater vielleicht?« Ich nahm an, dass er es gern gehabt hätte, wenn er es war.
    Luke dachte darüber nach, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein. Der kommt nicht. Von meiner Mutter weiß ich, dass sie ihm nicht gesagt hat, wo wir hingegangen sind.« Er sagte das so ausdruckslos, als würde ihn das nichts weiter angehen. Ich dachte, er müsste etwas tun. Es schien mir sonderbar, dass er diese Trennung so selbstverständlich hinnahm.
    In der Tür blieb er stehen. Claire stand bereits draußen auf der Veranda. Sie hielt einen dicken Umschlag in der Hand, vollgestopft mit bearbeiteten Manuskripten und kommentierten Verträgen. In der Nacht zuvor hatte ich ihr beim Zusammenpacken zugesehen. Das war die erste Arbeit, die sie erledigt hatte, nachdem wir auf der Insel angekommen waren. Sie band sich sorgfältig einen karierten Schal um den Hals und rief über die Schulter: »Luke, los! Wir dürfen nicht zu spät kommen.« In den letzten Tagen hatte sie wieder mehr Wert auf ihr Äußeres gelegt. Sie musste es für sich selbst getan haben, denn außer Luke und mir gab es niemanden, der Notiz davon genommen hätte. Er drehte sich zu mir um. Beiläufig schob er nach: »Du kannst ja mitkommen, wenn du willst.«
    »Na gut«, willigte ich ein und hasste mich für dieses Gefühl untertäniger Dankbarkeit. Zögernd richtete ich mich auf und folgte ihm durch die Haustür ins Freie. Es hatte den Anschein, als bedürfe es stets seiner Einladung, damit ich ihn irgendwohin begleiten durfte. Wir brachen auf und gingen über einen Plankenweg, der über das sumpfige, tiefliegende Inselinnere führte. Vor den verbarrikadierten Häusern lugten rostige Speichen und Fahrradlenker unter Kunststoffplanen hervor. Von beiden Seiten neigten sich Bambusstangen herab und bildeten einen Tunnel, durch den sich Claire und Luke leichtfüßig hindurchbewegten. Als wir die Anlegestelle erreicht hatten, sah ich schon die Fähre, die sich ihren Weg durch die kabbelige See pflügte. Sandbänke und buschbestandene Inselchen lagen überall in der Great South Bay verstreut, Stränge aus Seetang trieben schlaff an der Oberfläche. Im Dunst war das fünf Meilen entfernte Long Island am nördlichen Horizont nur schemenhaft zu erkennen. Ich beobachtete, wie der Kapitän den Schub wegnahm und sich das Boot parallel zum Kai legte. Ein Mann von der Besatzung warf die Leine über den Poller, und Luke wollte gleich auf das Boot stürmen. Claire hielt ihn zurück, lachte, als er fast über ihre Füße fiel. Ich trottete ihnen hinterher. Ich traute der ganzen Aufregung nicht. Das konnte für mich nicht gut enden. Für mich sollten die Dinge immer so bleiben, wie sie waren, als wir hier ankamen.
    Die Fähre machte fest, und ein Mann von der Besatzung öffnete das Metallgitter. Als Erste verließen zwei Arbeiter in Overalls mit Gartengeräten das Schiff. Dann ging John Bellwether von Bord, der ewig sonnengebräunte Installateur, der bei uns undichte Rohre und tropfende Decken wieder instand setzte. Er nickte Claire und Luke zu. Als er an ihnen vorbei war, flüsterte Claire: »Ich trau dem Mann nicht. Er sieht mir nie in die Augen.«
    Als Letzter kam ein bleichgesichtiger Junge in Khakihosen und Sonnenbrille mit einem schwarzen Labrador-Welpen, der in seinen Armen zappelte. Er setzte den Hund auf dem Kai ab und wickelte die Leine um sein Handgelenk, bevor er Claire die Hand gab. Luke riss sich von seiner Mutter los, warf sich auf den Bauch und begann, den Welpen zu necken, holte immer wieder mit der Hand nach ihm aus, versuchte, ihn zu tätscheln. Das Tier kam zu mir, woraufhin ich mein Bein wegzog. Seine Schnauze wirkte angeschlagen, die Zunge hing albern aus dem Maul.
    »Hau ab«, zischte ich ihn an. »Bleib mir vom Leib!«
    »Der ist für mich«, verkündete Luke. »Der ist für mich, stimmt’s?«
    Der

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