Der Andere
versuchte nicht, sich ihr zu widersetzen, und sie nahm uns mit ins Bad. »Sieh mal«, sagte sie. »Sieh dir das an. Ich wollte ihn zerschlagen, habe es aber nicht mehr geschafft, nachdem ich im Foyer war.« Der Spiegelschrank im Bad war gesplittert, wie von einem Spinnennetz überzogen, hielt aber hartnäckig zusammen. Claire sah auf ihre Bluse hinab, auf befleckte, verklebte weiße Seide, und auf die schwarzen Leggings, die sie darunter trug. Sie legte eine dicke Perlenkette um den Hals. »Meine Hände haben einfach zu weh getan«, erklärte sie.
»Warum tust du das?«, wollte Luke wissen. »Was ist mit dir los?«
»Wer braucht all diese Spiegel?«, fragte Claire. »Wer braucht diese Spiegel, wenn ich stattdessen nur dich anzusehen brauche?«
Behutsam versuchte Luke, seine Mutter am Handgelenk zu fassen, um sie aus dem Bad zu führen, aber irgendetwas in ihr, das sich für einen Augenblick schlafen gelegt hatte, erwachte. Jäh entzog sie sich seinem Griff, platzte heraus: »Ich habe die Frau satt«, und schmetterte ihre Faust mitten in die Tür des Spiegelschranks. Die Glasscheibe fiel heraus und stürzte in das Waschbecken darunter. Das Klirren schien meinen Kopf vollständig auszufüllen. Niemals zuvor war sie so weit gegangen. Diese Gewalt und diese Grausamkeit waren mir und auch Luke neu. Glasscherben ragten aus ihren Knöcheln hervor und bohrten sich in die Haut zwischen ihren Fingern. Sie lächelte: »Ich glaube, ich brauchte deine Hilfe gar nicht.« Mit überkreuzten Beinen ließ sie sich auf dem kalten Marmorboden nieder und begann zu weinen.
»Mom, Mom.« Luke versuchte, sie an den Armen hochzuziehen, aber sie schlug nach seinen Händen und rollte sich in der Ecke des Bades zwischen der Toilette und den weißen Marmorwänden zu einem Knäuel zusammen.
»Mom, steh auf, bitte!« Er reichte ihr wieder die Hand, aber sie schlug nach ihm, zerkratzte ihm das Gesicht und umklammerte seinen Arm. Unter ihrem Griff gruben sich winzige Glassplitter tief in seine Haut, Splitter, die zu klein waren, um sie zu sehen, bis schließlich winzige Blutströpfchen ihr Vorhandensein offenbarten. Sie zog ihn zu sich hinab, änderte dann ihren Entschluss und stieß ihn wieder von sich.
Endlich fand ich Worte: »Wir müssen hier raus!«, drängte ich. »Ruf jemanden an, ruf James an oder die Polizei, und lass uns gehen, solange wir können.«
Luke sah mich an: »Das geht nur uns etwas an, ich lasse sie nicht allein.« In seinem Blick lag eine gewisse Gelassenheit, eine Art friedliche Bestimmung, die er in alldem erkannt hatte. Ich bin sicher, dass er diese Bestimmung nicht hätte erkennen können, wäre ich nicht da gewesen, um zu sehen, dass er sie erkannt hatte. Ich war freigekommen, um sein Zeuge zu werden. Claire faltete sich zusammen, bis nur noch ein kleiner runder Kreis ihres dunklen Haarschopfes und ihre schwarzen Leggings zu sehen waren. Leise stellte sie fest: »Ich habe alle ihre Verstecke zerstört.«
Luke fasste sich an die Wange, in der ein hauchdünner Glassplitter steckte. »Mom«, sagte er, »ich möchte dich hier so nicht lassen.«
Sie hob den Kopf, ihre Augen bildeten dunkle Höhlen. »Du willst mich nicht hier lassen?« Sie bellte ein lautes Lachen. »Du willst mich nicht hier lassen. Gut, ich werde sowieso nicht bleiben.« Sie hob ein gezacktes Glasstück auf und rammte es sich in ihr rechtes Handgelenk. »Ich gehe weg von hier. Ich habe genug.« Die Scherbe war scharf genug, ihre Haut zu durchdringen, nicht aber scharf genug, um die Adern zu durchtrennen. Dennoch strömte das Blut nun stärker, bis es ihren Arm bis zum Ellbogen bedeckte.
»Sie wird sterben«, sagte ich. Was fühlte ich? Ich weiß es immer noch nicht. Ich wollte sie nicht aufhalten, aber zusehen konnte ich auch nicht. Ich hielt mir die Augen zu und drehte mich zur Wand. »Lass sie gewähren«, hauchte ich in die Hände.
Einen Augenblick stand Luke ruhig da. Ich wusste nicht, wie er sich entscheiden würde. Was wäre sein Leben ohne sie? »Ich kann nicht«, beschloss er schließlich. Er wollte Claires Arm nehmen, aber sie wies ihn zurück und stieß einen seelenlosen, unmenschlichen Schrei aus. Luke hob eine andere, größere Glasscherbe auf und hielt sie sich an die Kehle. »Sieh her«, sagte er. »Sieh mich an.«
Claire krümmte sich um die Toilette herum, zwängte ihren Körper in ein winziges Eckchen zwischen Porzellanschüssel und Wand. Zornig sah sie Luke durch einen Vorhang aus dunklem Haar an.
»Sieh mich an«, sagte er. Er
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