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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
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sich nichts. Es blieb ruhig.
    »Danke«, meinte Luke schließlich. »Ich nehme dich beim Wort.«
    James schüttelte den Kopf, ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
    Am folgenden Morgen lehnte Cassie an der matt glänzenden Stahltür des Kühlschranks. Sie aß eine Waffel aus der Hand und schlenkerte ein Brombeerkonfitüreglas hin und her. Sie trug ihre Schuluniform, hatte sich die Schultasche über die Schulter geworfen und war auf dem Sprung zur Tür. Sie beugte sich vor. Kauend beobachtete sie Luke, der mechanisch in seiner Müslischale herumstocherte. Ich bemerkte, wie sich ihre Wertschätzung ihm gegenüber ständig veränderte, wie jede noch so kleine Information das Ganze umstellte, wie ein einziger Pinselstrich, der ausreicht, die Komposition eines ganzen Bildes in einem vollständig anderen Licht erscheinen zu lassen. Ich fragte mich, was James ihr über ihn erzählt hatte. Viel schien es nicht gewesen zu sein.
    »Du musst nicht so tun, als würdest du das mögen«, sagte sie, »nur weil James meint, dass du es gern gegessen hast, als du sechs warst.«
    Luke zuckte mit den Schultern. »Müsli. Was soll’s?«
    »Wir könnten heute Abend in den Supermarkt gehen und dir kaufen, was du wirklich gern magst. Gleichzeitig könnten wir die Bestände auffüllen, da du ja noch eine Weile bleibst, ja?«
    Luke nahm den Köder nicht an. »Keine Ahnung. Kommt darauf an.«
    »Worauf?«
    »Was glaubst du?«
    Cassie öffnete den Kühlschrank und schob auf der Suche nach einer Diät-Cola ein paar Dosen hin und her. »Ich meine, hast du …« Sie unterbrach sich, ihr Gesicht blieb hinter der Kühlschranktür verborgen. »Hast du etwas gehört? Gibt es etwas Neues?«
    Luke schob die Morgenausgabe der
Times
über den Marmorblock. »Hier ist die Zeitung. Ich muss zum Bus.«
    Luke gelang es, Cassie und ihren Fragen aus dem Weg zu gehen. Jedenfalls bis Sonntagfrüh, als wir zu dritt neunzehn Straßenzüge die Fifth Avenue hinuntergingen, um CDs zu kaufen. Wir hatten erfahren, dass Claire an jenem Abend anrufen wollte, und Luke war viel zu aufgeregt, um in der Wohnung herumzusitzen und zu warten. Wir gingen an den Toren des Conservatory Garden vorbei, die nach einem erneuten Aprilschauer feucht glitzerten, passierten das Cooper-Hewitt-Museum und die verrückte Rasenfläche mit den modernistischen Möbeln, eine Reihe Altbauten, alle prachtvoll ausgestattet mit ihren Markisen in frischem Jagdgrün und den Pförtnern in ihren Uniformen mit Messingknöpfen. Der Park glänzte zu unserer Rechten, Regentropfen hingen wie Murmeln an den Blättern und zogen sie herunter, der Duft der feuchten Erde, so ursprünglich und doch so fehl am Platz im stickigen Großstadtmief von Manhattan. Wir bogen links ab in die 86 . Straße, in der die Abgase der Busse den würzigen Duft jäh erstickten. Regennass und müllbepflastert lag die Lexington Avenue vor uns. Der Musikladen befand sich gleich neben einem U-Bahn-Eingang, so dass sich Luke und Cassie zunächst durch Menschenmassen hindurchkämpfen mussten, die aus dem Untergrund hervorquollen und auf dem Gehweg zur nahe gelegenen Bushaltestelle drängten. Während die beiden hin und her gestoßen wurden, spazierte ich entspannt durch die Menge, ließ sie um mich herum fließen, diese hässlichen, sperrigen und schwitzigen Leiber. Sie torkelten und stolperten, umklammerten ihre Geldbörsen und Einkaufstaschen, gestützt auf Stöcke und Schirme. Ein überfüllter Bus fuhr los, und die Nachzügler stellten sich ungeduldig in die Reihe, um auf den nächsten zu warten, ein Haufen klumpiges Fleisch in schlecht sitzende Kleidung gepresst. Inmitten all dessen blieb ich ungerührt, unangetastet. Unbesudelt. Am Eingang des Ladens wartete ich, bis Luke und Cassie ihr Spießrutenlaufen beendet hatten. Mit den Fingern fuhr ich durch mein Haar. Ich mochte mit der beklagenswerten Annäherung an Lukes Körper und Gesicht geschlagen sein, aber ich konnte damit immer noch besser umgehen als er. Der Gedanke, dass diese Eitelkeit zu meinem und Lukes Nutzen war, beschäftigte mich nur einen kurzen Augenblick. Ich betrachtete die Menschenschlange, die auf den Bus wartete, und war sehr froh, etwas Anderes, etwas Andersartiges zu sein. Es spielte keine Rolle, dass ich stolzer war auf das, was ich nicht war, als auf das, was ich war.
    Im Laden fixierten grelle Strahler die Käufer auf dem fabrikmäßigen Teppichboden, als wären sie Mitwirkende in einem missratenen, nervtötenden Theaterstück. Wir trennten uns von

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