Der Andere
zwanzig Dollar. Ich weiß, dass du zwanzig Mäuse dabeihast.«
»Gar nichts habe ich.«
Der Junge trat näher, drückte Luke in die Ecke. »Blödsinn. Was wolltest du denn hier? Die CDs klauen? Gib mir zwanzig Dollar.«
Ich sah über seine Schulter prüfend den Gang hinunter. Niemand zu sehen. Luke sah mich flehend an. »Du gibst ihm gar nichts«, riet ich. »Was soll er dir hier im Laden schon tun?« Das war leicht gesagt, da ich nicht das Ziel war. Der Typ bewegte die Hand in seiner Jackentasche. Er sagte: »Du willst sicher nicht, dass ich das Messer hier zücke.« »Der blufft doch«, sagte ich. Luke zog sein ganzes Geld, dreizehn Dollar, aus der Tasche und gab es ihm, die Außenwelt forderte ihren Tribut. »Memme!«, sagte ich.
Kopfschüttelnd nahm der Junge die zerknüllten Scheine und verstaute sie in seiner Jeans. »Ist das alles, was du hast?« Er drehte sich um und wollte gehen, als wir Cassies Stimme hörten, laut und quengelnd: »Luke, was machst du?« Sie stand am Ende des Ganges mit einem Stapel CDs in den Händen. Der Typ verdrehte genervt die Augen und drückte sich an ihr vorbei in Richtung Treppe, wo er drei Stufen auf einmal nahm. Cassie stand mit offenem Mund da. »Was, um Himmels willen, war denn das?«
Zitternd stand Luke in der Ecke, geschüttelt von Adrenalin. Cassie giftete ihn an. »Was hast du gemacht? Wir sind schon eine halbe Stunde hier.« »Na los!«, sagte ich. »Erzähl ihr, wie du gerade reingelegt worden bist.« Er öffnete den Mund, aber bevor er etwas sagen konnte, kam ein Sicherheitsmann die Treppe herunter, hielt eine Plakette in der einen und die pompöse Jacke des Jungen in der anderen Hand. »Was dagegen, mitzukommen?«
Und so wurde aus Luke unversehens das Opfer. Zu dritt wurden wir durch eine nicht näher gekennzeichnete Metalltür in eine Art Überwachungsraum geführt, ein Mittelding zwischen einem Flughafen-Kontrollturm und dem Schneideraum eines Fernsehstudios. Ich sah eine Monitorwand, die körnige Schwarzweißbilder lieferte, auf denen Kunden geisterhaft im Laden umherirrten. Zwei ganz offensichtlich gelangweilte Männer teilten ihre Aufmerksamkeit zwischen den Kameras und diversen Boulevardblättchen. Einer von ihnen sah auf und winkte Cassie zu, wandte sich dann aber wieder den Sportseiten zu. »Wir haben am Bildschirm gesehen, was passiert ist. An der Tür haben wir ihn geschnappt. Dabei ist er uns aber aus der Jacke gerutscht und konnte wegrennen. Der Bursche ist schnell, aber das wird ihm nicht viel nützen.« Der Wachmann zog einen Zettel aus der Jackentasche, legte ihn auf einen Tisch und strich ihn glatt. Es handelte sich um einen Test, genauer gesagt, um eine Chemiearbeit. »Sagen wir mal, er ist nicht der Cleverste.« Der Wachmann deutete auf das D+ in roter Tinte oben auf der Seite und dann auf den Namen auf der linken Seite.
Eine halbe Stunde später kam ein Polizist hinzu, rundlich, jung, auch er offensichtlich gelangweilt. Nach weiteren zwanzig Minuten hatte Luke seine Aussage gemacht und einen Haufen Formulare unterschrieben. Während der ganzen Prozedur saß Cassie nur da, grinste und kaute Kaugummi, während Luke schwitzte und schmorte. Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben, so dass der Wachmann ihn am Arm stupste und meinte: »Ich kann mir vorstellen, dass du Angst hast. Aber du bist hier in Sicherheit. Jetzt beruhig dich mal wieder, um Himmels willen.« Mir war klar, dass Lukes Nervosität nichts mit dem Überfall selbst zu tun hatte, sondern vielmehr damit, dass sie, wenn sie den Raub schon gesehen hatten, leicht auch unseren Dreh mit dem Aufkleber gesehen haben konnten, dessen Beweis – Philip Glass’
Music in Twelve Parts
zum Verkaufspreis $ 1 , 99 und ein wenig anderer Billigkram aus der Schnäppchenkiste mit abgerissenem Preisschild – auf dem Tisch lag. Und in Lukes Augen war das mindestens so belastend wie ein blutverschmiertes Messer oder ein rauchender Colt. Hatten sie es gesehen? Wussten sie es und spielten nur mit ihm? Warteten sie nur, bis er gehen wollte, um ihm dann die Hand auf die Schulter zu legen und zu sagen: »Eine Kleinigkeit wäre da noch …?« Offensichtlich aber hatten sie keine Ahnung, denn sie taten es nicht, und schließlich hieß es, wir könnten gehen.
Wieder draußen auf der Straße, schüttelte Cassie den Kopf und lachte. »Es mag bösartig klingen, aber ausgeraubt werden gehört in New York zum Erwachsenwerden. Das ist wie neue Zähne bekommen.« Sie knuffte Luke leicht mit dem Ellbogen. »Mach dir
Weitere Kostenlose Bücher