Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
Vom Netzwerk:
mich unwillig an. »Das Messer«, sagte ich. »Los, frag, ob du es mal haben kannst.«
    Luke zuckte mit den Achseln und deutete mit dem Kopf auf das Schnappmesser. »Kann ich das mal sehen?«
    Der Typ leckte die Zigarre langsam über ihre ganze Länge an und verschloss sie. »Wenn du ’n Augenblick Zeit hast, vielleicht.«
    Omar sagte: »Wo sind die berühmten Nightingale-Manieren?«, und gab ein dumpfes Lachen von sich, das klang wie ein Tier, wenn es mit einem Stock geschlagen wird. Der Junge zündete den Joint an, worauf sein Gesicht hinter einem Dunstvorhang verschwand. Er reichte sie an Omar weiter und gab dann Luke das Messer, mit eingeklappter Klinge. »Pass auf, sonst schneidest du dir noch den Finger ab.«
    Das Ding lag locker in Lukes geöffneter Hand. Er betrachtete es, als sei es lebendig und bösartig. Ich beugte mich zu ihm. »Du solltest lernen, wie man mit so etwas umgeht.« Er schüttelte den Kopf. »Doch«, sagte ich. »Denk an den Typen in dem Plattenladen. Man kann nie wissen, wozu es gut ist.« Omar schloss die Augen und stieß gewaltige Rauchschwaden aus. Das Bürschchen ließ Luke nicht aus den Augen, die anderen beachteten ihn nicht weiter. Ich fuhr mit den Fingern über den Griff, die seidenmatte Oberfläche entlang und über den erhabenen Stahlknopf. Er war kühl und gedrungen, strahlte ungute Absichten aus. Ich legte meine Hand um Lukes. Wir drückten auf den Knopf, und die Klinge sprang heraus. Noch einmal drückten wir auf den Knopf, und die Klinge verschwand wieder. Ich lachte. »Siehst du?«, sagte ich. »Ist doch gar nicht so schwer.« Klick, drin, und klick, draußen.
    »Mann, was ist denn los mit dir?«, tönte Omar.
    Der Knirps räusperte sich und spuckte aus. »Gib mir das Ding lieber zurück, bevor du dir damit noch deine dämliche Visage aufschlitzt.«
    Luke hielt inne, die Klinge war ausgefahren. »So sollten sie nicht mit dir reden«, sagte ich. »Du bist weder ein Kind noch ein Idiot.« Luke bewegte die Klinge hin und her, im Licht der Straßenlaterne blitzte das Metall kurz auf.
    Omar reichte den Joint weiter und streckte die Hand aus. »Gib her, du Schwachkopf. Der Spaß ist vorbei.«
    »Was für ein unerträgliches Stück Scheiße«, sagte ich, und Luke grinste. Zum Schein richtete er das Messer gegen Omar. Wie ängstliche kleine Kreaturen wichen die Augen seines Freundes zurück. Inzwischen hatten es alle mitbekommen. Großes Erstaunen schwebte über ihnen, Marihuana-Wolken waberten über ihre Köpfe hinweg. »Du bist ja besoffen!«, meinte das Früchtchen. »Gib den großen Jungs jetzt das Messer zurück und geh nach Hause zu Mami.« Ich wartete darauf, dass Omar Luke beistehen würde, aber er sagte nichts. »Das ist ja wohl völlig daneben«, sagte ich. »Du solltest ihm eine Lektion erteilen.« Luke zögerte, und ich versuchte, die Hand, in der er das Messer hielt, nach vorn zu schieben. Er sperrte sich, hielt dagegen. Ich verstärkte den Druck, konnte mich aber nicht durchsetzen. Er war immer noch zu stark. Wir alle standen angriffsbereit und reglos einen Augenblick da, bis die Spannung plötzlich aus Luke wich und er Omar das Messer mit einem kraftlosen Grinsen übergab. »Ich wollte dich bloß verarschen«, sagte er, und alle lachten, als wäre ihnen das die ganze Zeit klar gewesen.
    »Hier, nimm«, sagte Omar und reichte Luke die Rumflasche. »Tauschen wir.« Luke nahm einen großen Schluck und linste über den Rand zu mir. Ich wusste, dass er Gefallen daran fand, wie es für Omar und all die anderen war, Angst vor ihm zu haben. Es war fast egal, dass er am Ende nachgegeben hatte. Ich wollte, dass er dieses Gefühl nicht vergaß, und ich wollte auch, dass er nicht vergaß, dass ich es war, der ihm dabei helfen konnte, dieses Gefühl wieder zu haben, wann immer er wollte.
    Die Flasche ging herum, bis sie leer war. Gleich zog jemand eine neue heraus. Irgendwann torkelten wir beide durch den still daliegenden Park zur Central Park West. An der Ecke zu unserem Block strauchelte Luke und wäre fast gestürzt, wenn ich ihn nicht am Arm gepackt und in der Senkrechten gehalten hätte. Schwankend standen wir unter einer defekten Straßenlaterne. Kurze Zeit später richtete er sich auf und versuchte, mich wegzustoßen, bis er feststellte, dass er ohne meine Hilfe gar nicht stehen konnte.

[home]
    Dritter Teil
    Eine geschlossene Welt
    1 . Kapitel
    D ie so verheißungsvolle, berauschende Nacht im Park sollte sich in den folgenden elf Monaten eher als Ausnahme denn als

Weitere Kostenlose Bücher