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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
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teilten, war niemand da. Die abgehängte Decke war schwarz gestrichen. Richard und Luke tranken nichts. Auf einem Taschenspiegel hatte Richard drei Lines Kokain ausgelegt. Er schnupfte die erste. Die Typen sahen auf und gafften ihn an. Er beachtete sie nicht und blätterte ungerührt durch Lukes erste Abzüge aus dem Fotografiekurs. Es waren Großaufnahmen von Prüfröhrchen und Mikroskopen, blubbernden Lösungen und blauen Flammen, die er als Gast im Chemielabor gemacht hatte. Die Digitalkamera hatte den Bildern etwas Kaltblütiges verliehen. Die Farben waren künstlich, gleißende Silber- und knisternde Grüntöne. Ich hatte Luke geraten, die Fotos zuzuschneiden, menschliche Hände und Körper vollständig zu entfernen, so dass nur die Instrumente in ihrer sterilen Isolation übrig blieben. Es waren elegante, sonderbare Bilder. Mit meiner Hilfe, dachte ich, könnte Luke ein respektabler Fotograf werden.
    »Sie sind gar nicht schlecht«, sagte Richard, »aber ziemlich ausdruckslos.«
    »Ausdruckslos? Wieso denn das?« Luke war betroffen, was mich irritierte. Was kümmerte es ihn, was Richard dachte?
    »Technisch perfekt, aber ohne das gewisse Etwas. Willst du richtig gute Fotos machen? Dann schnapp dir deine Kamera und komm mit. Ich zeig dir was.« Er hielt inne, um die zweite Line vom Spiegel zu ziehen. »Wir brauchen aber ein Auto, und ich kann nicht fahren. Falsche Straßenseite und all das.« Er senkte den Kopf und zog die dritte Line.
    »Ich kann fahren«, sagte Luke. Ich hob die Augenbrauen. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Zweimal hatte er hinter dem Steuer von Claires Saab gesessen. Beide Male endeten in hässlichen Streitigkeiten. Mir wurde klar, wie wichtig es ihm in diesem Augenblick war, Richard nicht zu enttäuschen.
    Nate hatte ein Auto. Einen uralten, rostigen Toyota mit Kennzeichen aus Pennsylvania. Dass er ihn Luke leihen würde, war unrealistisch, also blieb uns nichts, als ihn uns ohne sein Wissen zu borgen. Zurück im Zimmer, sahen wir ihn und zwei seiner verlotterten Kumpel auf dem Boden sitzen und Videospiele spielen. »’n Abend, die Herren«, begrüßte sie Richard. »Hallo«, antwortete Nate und wandte sich wieder den knatternden Maschinengewehrsalven zu. Seine beiden Freunde hielten ihren Blick etwas länger auf Richard mit seiner Krawatte und dem Blazer gerichtet. Zögernd glitt Lukes Hand über die kleine Digitalkamera auf seinem Schreibtisch. Dann entschied er sich für Venetias Pentax. »Hab ich dich, du Scheißkerl«, murmelte Nate. Pausenlos und schrill dröhnten die Detonationen. Die drei Einfaltspinsel hockten so entrückt vor ihrem Pseudokrieg, dass sie gar nicht bemerkten, wie sich Richard hinter sie stahl und die Autoschlüssel von Nates Schreibtisch zog.
    Über das Campusgelände gingen wir zum Studentenparkplatz, traten aus den Schatten der alten gotischen Gebäude heraus und kamen zu den gnadenlos modernen Kästen. Wir gingen an der breiten Glaswand des Fitness-Raums vorbei. Hinter der Glasscheibe standen die Mädchen eng an eng auf den Stairmastern oder stellten an den Crosstrainern herum. Dutzende Paare dürrer Beinchen in Gymnastikhosen wippten und strampelten. Die gestreckten Köpfe waren auf die riesigen TV -Bildschirme gerichtet, die an der hinteren Wand hingen. Das Ganze hatte etwas von einem faschistoiden Verhaltensexperiment. »Wüstenrennmäuse«, raunte Richard. Im Licht einer Straßenlaterne sah sein Gesicht plötzlich alt und hässlich aus. Wieder im Dunkeln, lohte sein Lächeln wie fluoreszierendes Licht. »Aber gegen das Ergebnis ist nichts zu sagen«, fügte er hinzu.
    Richard führte uns über einen großen Platz, an der Rückseite eines riesigen neuen Wohnheimkomplexes entlang. In den zahllosen Räumen lernten Studenten, stritten, vögelten, rauchten und schliefen. Hinter jedem Fenster ein Student, eine winzige Zelle, die eine einzige ihr zugedachte einfallslose Funktion ausführte; doch zusammengenommen bildeten sie einen vollständigen Organismus, wirkungsvoll und zielgerichtet. Luke und ich, wir hatten unsere Aufgabe noch nicht gefunden. Wir befanden uns am Rande dieses Organismus, umschwirrten ihn wie Fliegen. Ich folgte Richards weißblondem Haarschopf, während er über den Platz sprang.
Ignis fatuus,
dachte ich.
    Eine Viertelstunde später hatten wir den Toyota in den matt schimmernden Reihen auf dem Studentenparkplatz gefunden. Luke schloss den Wagen auf, Richard setzte sich auf den Beifahrersitz und schlug die Tür zu. »Das Labor ist keine

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