Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
Vom Netzwerk:
und brach jäh auf. Ein lachhafter, kranker Schrei entfuhr ihm. Das Tier umklammerte die Stäbe seines Käfigs, rüttelte an ihnen und zog sich wieder in die Dunkelheit zurück. Von Käfig zu Käfig machte die Nachricht die Runde durch den Raum: Geraune und Hektik, kurzes Aufschreien aus Neugier oder Wut. Die Affen wirbelten im Kreis herum, hockten sich hin, lauerten, die steif aufgestellten rosa Ohren zitterten.
    »Wissenschaftler untersuchen ihre Gesichter, ihre Mimik«, erläuterte Richard. »Sie spielen ihnen Musik vor und zeigen ihnen Filmmaterial von anderen, in freier Wildbahn lebenden Affen. Das ist der Test für Bewegungsreize. Sie messen die Angstreaktion.« Die Affen rochen streng und vertraut, Menschen unter vergleichbaren Bedingungen möglicherweise gar nicht unähnlich.
    »Es gibt den sogenannten multisensorischen Integrationstest.« Das vorderste Tier kratzte sich und kicherte mich an. Sein rosafarbenes Kindergesicht verschwamm wieder im Dunkel. Die feuchten Augen zogen sich zusammen. »Aber die Einzelheiten tun eigentlich nichts zur Sache«, fuhr Richard fort. »Die zentrale Frage, der hier nachgegangen wird, ist, was ihre Gesicher uns über das sagen können, was sie fühlen. Und was sie gegenseitig an ihren Gesichtern ablesen können.«
    »Und wie lautet die Antwort?«, wollte Luke wissen.
    »Es gibt noch keine. Aber ich möchte dieselben Experimente gern mit Menschen machen, um das herauszufinden.«
    Zu beiden Seiten des Raums waren die Käfige gestapelt, immer zwei übereinander und zehn nebeneinander, vierzig grinsende, besorgt dreinblickende Affen. Einige drückten das Gesicht gegen die Stäbe, um uns besser sehen zu können, andere standen in der Ecke und wandten uns den Rücken zu, als würden sie sich in unserer Gegenwart schämen. Ich schob meine Finger zwischen die Stäbe des vordersten Käfigs und wackelte vor den nervösen Augen des Affen ein wenig mit ihnen herum, bis die Kreatur zähnefletschend nach mir schnappte.
    Richard zeigte auf die Kamera, die von Lukes Schulter hing. »Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
    Luke begann, Fotos zu schießen. Der Blitz beschien runzlige, fleischige Wangen, behaarte Brustkörbe, ein rollendes Auge. Einige duckten sich vor dem Blitzlicht weg, andere griffen mit ihren ledrigen Babyhändchen danach, um es zu berühren.
    »Wir brauchen mehr Action«, beschloss Richard. Er holte einen Besen aus der Ecke, ging damit durch den ganzen Raum und schlug ihn gegen die Gitterstäbe.
    Die Affen zeterten und protestierten. Er schlug härter. Sie kreischten und empörten sich. Luke machte Fotos. Richard schwang den Besen wie einen Baseballschläger und drosch ihn gegen die Käfige. Das Kreischen wurde lauter. Richard lief die Reihen entlang, hin und her, sein Blazer plusterte sich auf, das Gesicht glühte rot. Ich lief ihm nach, breitete die Arme aus und ließ die Finger über die Stäbe laufen. Die Affen wurden rasend, warfen sich gegen die Käfigwände, brüllten, schrien, das Getöse vieler Hirne, alle auf dieselbe Weise aus dem Gleichgewicht gebracht. Plötzlich hielt Richard inne und hob die Hand. »Hör mal.« Der Chor der Affen wurde übertönt vom Klang menschlicher Stimmen, die sich etwas zuriefen. Wir hörten, wie sie sich der Labortür näherten. »Los, schnell!«, rief Richard. Er schnappte Lukes Handgelenk und zog ihn zu einer anderen Tür im hinteren Teil des Raums. Ich folgte dicht hinter ihnen.
    Wieder wurden Schlüssel herausgezogen, und wir schlüpften in einen anderen Gang. Sie sahen alle gleich aus, diese Flure, mattweiß schimmernde Wände, blitzblanker Linoleumboden. Richard preschte los, Luke und ich hatten Mühe, Schritt zu halten. Rufe wurden von harten Flächen zurückgeworfen. Richard bog nach links ab, dann nach rechts, wieder nach links, und dann war er weg. Wir rannten um die Ecke eines anderen Gangs, aber er war verschwunden. Luke blieb neben mir stehen. »Wo ist er hin?« Ich schüttelte den Kopf. Ich fragte mich, ob er uns absichtlich allein zurückgelassen hatte, ob es eine Art Scherz sein sollte. Plötzlich erschien sein Kopf hinter einer Treppenhaustür, die wir irgendwie übersehen hatten. »So eine Scheiße!«, fluchte er. Wir schossen durch die Tür ins Treppenhaus, nahmen drei Stufen auf einmal. Die schwere Kamera baumelte an ihrem Gurt um Lukes Hals. Im Erdgeschoss stürzten wir durch einen Ausgang hinaus und lösten dabei ohrenbetäubenden Alarm aus. Wir befanden uns hinter dem Gebäude, am Rand einer Rasenfläche.

Weitere Kostenlose Bücher