Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
»Ich habe nichts mit dir zu schaffen.«
»Von wegen«, versetzte er seelenruhig. »Wach auf, Liv.«
»Jetzt hör …«
»Nein, jetzt hörst du mir einmal zu.« Er erhob sich und kam um den Schreibtisch herum. Liv straffte instinktiv die Schultern. »Vor zwei Tagen hast du mich geküsst.«
»Das hat nichts …«
»Sei still«, bremste er sie. »Ich weiß genau, was du dabei empfunden hast, und wenn du glaubst, du könntest mir etwas vormachen, dann bist du eine Idiotin.«
»Ich mache dir gar nichts vor.«
»Nein?« Er zuckte mit den Schultern, so als ob er ihre Erklärung anzweifelte. »Auf alle Fälle ist das Schenken einer Rose nicht vergleichbar mit einer Fummelei im Schneideraum während der Kaffeepause. Wenn du etwas Greifbares brauchst, um dich beleidigt zu fühlen, so kann ich dir den Gefallen gerne tun«, setzte er hinzu und zog sie in die Arme. Zum ersten Mal sah sie einen Anflug von Ärger in seinen Augen aufblitzen und verzichtete darauf, sich gegen ihn zu wehren. Es wäre nur erniedrigend für sie gewesen, da er so viel stärker war als sie. Sie reckte forsch das Kinn und funkelte ihn böse an.
»Ich schätze, du brauchst dich nicht allzu sehr anzustrengen, um beleidigend zu wirken.«
»Nein, das stimmt«, pflichtete er ihr bei. »Im Moment bin ich leider zeitlich etwas unter Druck, sonst hätte ich es dir gerne demonstriert. Aber wir können das Thema heute Abend beim Essen ausdiskutieren.«
»Ich gehe heute Abend nicht mit dir zum Essen.«
»Ich hole dich um halb acht ab«, sagte er, ließ sie los und griff nach seinem Jackett.
»Nein.«
»Dann also um Viertel nach sieben. Vorher schaffe ich es leider nicht.« Er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. »Wenn wir etwas miteinander zu besprechen haben, sollten wir das nicht im Büro erledigen, findest du nicht auch?«
Dieser Punkt ging fraglos an ihn, dachte sie wütend. Ihre Lippen waren noch warm von seinem Kuss. »Und du wirst dir anhören, was ich dir zu sagen habe?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
»Aber selbstverständlich.« Er lächelte und küsste sie noch einmal.
Liv trat einen Schritt zurück. »Und du wirst dich vernünftig benehmen?«
»Natürlich.« Er zog sein Jackett an. Liv misstraute zwar seiner leichtfertigen Zustimmung, konnte aber schlecht etwas dagegen sagen. »Ich muss jetzt los. Ich bringe dich zum Fahrstuhl.«
»In Ordnung.« Während sie neben ihm herging, fragte sich Liv, ob sie die Debatte gewonnen oder verloren hatte. Na, bestenfalls lief es auf ein Unentschieden hinaus, überlegte sie.
Thorpe stand vor Livs Apartment und focht einen inneren Kampf aus. Er war nicht sicher, warum er hier stand. Er war es nicht gewohnt, abgewiesen zu werden, besonders nicht von einer Frau. Bisher hatte er immer Erfolg gehabt im Leben, beruflich wie auch privat. Für den beruflichen Erfolg hatte er gearbeitet. Hart gearbeitet. Der Erfolg in seinem Privatleben hatte sich quasi von selbst eingestellt. Er hatte nie große Vorarbeiten leisten oder besondere Klimmzüge machen
müssen, um eine Frau in seine Arme, beziehungsweise in sein Bett zu locken.
Mit Anfang zwanzig, als er in Washington seine Reporterkarriere begonnen und sich die Hacken abgelaufen hatte, um Kontakte zu knüpfen und betrügerische Machenschaften mit umweltschädlichen Abwassersystemen aufzudecken, hatte er seine Erfahrungen mit schönen Frauen gemacht. Und das nicht zu knapp, wie manche Freunde neidvoll nachrechneten. Später, als er achtzehn Monate als Auslands-Korrespondent im explosiven Nahen Osten verbrachte, hatte er sich auch nicht über mangelnde weibliche Gesellschaft beklagen können. Und je bekannter sein Name und sein Gesicht wurden, desto größer waren seine Chancen beim anderen Geschlecht geworden.
Er wusste, dass er nur den Hörer abzunehmen brauchte, um sich einen Abend in Begleitung einer interessanten Frau zu sichern. Er hatte alle Arten von Frauen kennen gelernt – kluge Frauen, schöne Frauen, berühmte Frauen. Er hatte viel gelernt seit den Tagen, als er als naseweiser Bursche im Klubhaus des Senators die Spieler genervt hatte.
Aber zwei Dinge hatten sich nicht geändert. Er war immer noch entschlossen, der Beste auf seinem Gebiet zu sein und alles daran zu setzen, das Ziel zu erreichen, das er sich einmal gesteckt hatte. Thorpe schob die Hände in die Taschen und starrte stirnrunzelnd auf Livs Apartmenttür. Stand er deshalb hier?, fragte er sich.
Nein, so einfach lagen die Dinge nicht. Selbst hier vor ihrer Tür
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