Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
ein Glas Wein reichte.
»Harte Arbeit muss belohnt werden.«
Ehe sie noch ihre Hände frei machen und nach dem Glas greifen konnte, hielt Thorpe es ihr an die Lippen und sah sie unverwandt an.
»Danke.« Ihre Stimme war belegt. Sie wandte rasch das Gesicht ab.
»Schmeckt er dir? Normalerweise trinkst du doch immer Weißwein.« Er hob das Glas und trank selbst einen Schluck.
»Ja, er ist gut«, murmelte sie, anscheinend ganz mit der Wahl eines Messers beschäftigt, das mit anderen in einem Holzblock steckt.
Thorpe zog eines heraus und reichte es ihr. »Es ist scharf«, warnte er sie. »Sei vorsichtig.«
»Ich versuche es«, meinte sie und machte sich an die Arbeit.
Hinter sich hörte sie Thorpe herumwirtschaften, die Nudeln ins kochende Wasser geben, das Brot unter den Grill stellen. Seine Gegenwart beschäftigte all ihre Sinne. Als der Salat fertig war, sirrten ihre Nerven vor Anspannung. Sie nahm das Weinglas, das Thorpe auf dem Hackstock hatte stehen lassen, und trank einen großen Schluck. Beruhig dich, ermahnte sie sich, sonst vergisst du noch, weshalb du gekommen bist.
»Fertig?« Seine Hände legten sich schwer auf ihre Schultern, und Liv musste an sich halten, dass sie nicht zusammenzuckte.
»Ja.«
»Fein, dann lass uns anfangen.«
Vor einem Fenster war ein kleiner Rauchglastisch gedeckt. Trotz der atemberaubenden Sicht über die Stadt war es ein gemütlicher,
intimer Essplatz, der von dem übrigen Wohnzimmer durch ein erhöhtes Podest mit einem eisernen Geländer abgetrennt war. Überall brannten Kerzen verschiedenster Formen und Größen und verbreiteten ein warmes, flackerndes Licht. Das alte englische Porzellan war eine weitere Überraschung. Während Thorpe den Salat servierte, versuchte Liv, sich nicht von der angenehmen Atmosphäre einlullen zu lassen. Sie war gekommen, um mit ihm zu reden. Und am besten fing sie gleich damit an.
»Du hast eine sehr schöne Wohnung«, begann sie. »Lebst du hier schon lange?«
»Drei Jahre.«
»Hast du sie wegen ihrer« – sie unterbrach sich und lächelte – »bewegten Vergangenheit ausgewählt?«
Thorpe grinste. »Nein. Sie hat meinen momentanen Bedürfnissen entsprochen. Ich war gerade in Israel, als der Watergate-Skandal aufgedeckt wurde, was ich heute noch zutiefst bedauere.« Er stellte Essig und Öl vor sie hin. »Ich kenne einen Disponenten, der die Story damals geschmissen hat, als die Nachricht über Fernschreiber reinkam. Keine Zeit, dachte er. Und wen kümmert schon so ein kleiner Einbruch? Ich glaube, er verkauft heute Gebrauchtwagen irgendwo in Idaho.«
Liv lachte. »Wie lange warst du im Nahen Osten?«
»Zu lange.« Er fing Livs fragenden Blick auf. »Stunden des Leerlaufs und Momente des Terrors. Keine sehr gesunde Lebensweise. Der Krieg öffnet einem die Augen für die Dinge, zu denen Menschen fähig sein können. Wahrscheinlich viel zu weit.«
»Das war bestimmt nicht leicht«, murmelte sie und versuchte, sich die Situation vorzustellen. »Live über einen Krieg zu berichten, über so einen Krieg, in einem fremden Land.«
»Es war eine Erfahrung«, sagte er und zuckte die Schultern. »Das Problem ist, dass man bei dieser Art von Berichten leicht vergisst, dass man selbst so ein Mensch ist. Eine Weile glaubt man, dass man hier oben«, er tippte an seine Schläfe, »unverwundbar ist; die Kamera ist nämlich ein starker Schutzschild. Ein gefährlicher Irrtum – einer, den Kugeln und Granatsplitter nicht akzeptieren.«
Liv verstand sehr gut, was er damit meinte. War sie doch selbst einmal völlig arglos hinter einem Bombenentschärfungskommando in ein Regierungsgebäude marschiert. In diesem Augenblick hatte sie nur an ihre Story gedacht. Erst viel später war ihr das ganze Ausmaß ihres unüberlegten Handelns zu Bewusstsein gekommen.
»Das ist merkwürdig«, überlegte sie laut. »Und es geht nicht nur Reportern so. Kameraleute sind wahrscheinlich noch fahrlässiger. Warum, glaubst du, ist das so?«
»Manche Leute behaupten, es sei so etwas wie eine Mission, eine heilige Pflicht, die Öffentlichkeit an allen Geschehnissen teilhaben zu lassen. Ich hingegen glaube, dass es einfach eine Sache des Augenblicks ist. Man tut es, weil man sich auf die Story konzentriert, und eine Story zu liefern ist nun einmal unser Job.«
»Das klingt aber nicht so romantisch wie Mission«, sagte sie leise.
Er lächelte. Das Kerzenlicht huschte flackernd über ihr Gesicht. »Suchst du in deinem Job nach Romantik, Liv?«
Die Frage ließ sie
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