Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
stehend, sah er ihr Gesicht, hörte ihre Stimme, roch ihren Duft. In seinem Leben hatte es bisher keine Frau gegeben, von der er ein so klares Bild vor Augen hatte, wenn er allein war. Bei keiner anderen Frau hatte er dieses Warten als so schmerzhaft empfunden. Liv war eine Herausforderung, ja, und Thorpe liebte Herausforderungen. Aber deshalb stand er nicht hier. Er liebte sie. Er begehrte sie. Und er war entschlossen, sie eines Tages zu besitzen. Er drückte auf den Klingelknopf und wartete.
Liv hatte ihren Mantel über dem Arm, als sie die Tür öffnete. Sie hatte nicht die Absicht, ihn hereinzubitten. Wenn sie schon seine Gesellschaft akzeptierte, dann nur in einem Restaurant,
wo sie nicht Gefahr lief, noch einmal diesen Fehler zu begehen, den sie schon zu oft begangen hatte.
»Ich bin fertig«, erklärte sie in ihrem distanziertesten Tonfall.
»Das sehe ich.« Er bewegte sich nicht, als sie die Tür hinter sich zuzog, sodass Liv gezwungen war, ihn zur Seite zu schieben oder mit dem Rücken zur Tür stehen zu bleiben. Sie blieb stehen. Offenbar kam er direkt aus dem Studio, obwohl Liv niemals zugegeben hätte, dass sie seine Sendung verfolgt hatte. Er hatte seine Krawatte abgenommen und die obersten zwei Hemdknöpfe geöffnet und sah völlig entspannt aus. Sie hingegen war innerlich steif wie ein Brett.
»Du bist immer noch sauer«, erklärte er lächelnd. Er wusste, dass er sie damit provozierte, konnte sich die Bemerkung aber nicht verkneifen. Er war nicht sicher, welchen Ausdruck er bei ihr bevorzugte: die tiefe Ernsthaftigkeit ihrer Augen während einer Nachrichtensendung oder die beherrschte Abwehr, die er schon so oft in ihrem Blick gelesen hatte.
Liv war nicht sauer, sondern nervös – und wütend auf sich, weil sie so empfänglich für ihn war. Sie spürte bereits, wie sie sich seinem Lächeln öffnete.
»Ich dachte, wir diskutieren das beim Essen aus, Thorpe, und nicht hier im Flur vor meiner Wohnung.«
»Hungrig?«
Sie wollte nicht lächeln, doch ihre Lippen verrieten sie. »Ja.«
»Magst du italienische Küche?«, erkundigte er sich und nahm ihre Hand, als sie zum Aufzug gingen.
»Ja, die mag ich«, erwiderte sie. Den kurzen Ruck ihrer Hand, damit er sie losließ, ignorierte er. »Gut. Ich kenne da ein lauschiges Plätzchen, wo es fantastische Spagetti gibt.«
»Prima.«
Zwanzig Minuten später parkten sie vor einem weißen Hochhaus. »Was machen wir hier?«
»Hier essen wir zu Abend.« Thorpe parkte den Wagen und beugte sich über Liv, um für sie die Tür zu öffnen. Liv stieg aus und wartete auf ihn.
»Im Watergate gibt es keinen Italiener.«
»Nein.« Thorpe nahm wieder ihre Hand und geleitete sie zum Eingang.
Ihr Misstrauen wuchs. »Du hast doch gesagt, wir gehen in ein italienisches Restaurant.«
»Nein, ich sagte, wir gehen Spagetti essen.« Sie durchquerten die Halle und blieben vor dem Fahrstuhl stehen. Thorpe drückte einen Knopf.
Liv musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Und wo?«
Er schob sie sanft in den Lift. »In meiner Wohnung.«
»Oh, nein«, rief Liv. Panik stieg in ihr auf. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. »Ich habe zugestimmt, mit dir zu Abend zu essen, damit wir uns unterhalten können, aber ich habe nicht …«
»In einem lauten Restaurant kann man sich nicht ernsthaft unterhalten«, meinte er leichthin, als die Fahrstuhltüren sich öffneten. »Und ich habe den Eindruck, dass du mir eine Menge zu sagen hast.« Er sperrte seine Wohnungstür auf und bedeutete ihr, einzutreten.
»Ja, das habe ich, aber …« Der würzige Geruch von Tomatensauce stieg ihr in die Nase. Zögernd trat sie über die Schwelle. »Wer hat die Spagetti gekocht?«
»Ich.« Thorpe half ihr aus der Jacke und zog anschließend die seine aus.
»Hast du nicht«, sagte sie und starrte ihn ungläubig an. Kochte ein Mann mit rauen Händen, intelligenten Augen und dieser weltmännischen Art etwa Spagetti?
»Chauvinistin«, meinte er vorwurfsvoll und küsste sie, ehe sie es verhindern konnte.
»Das meinte ich damit nicht.« Liv war verwirrt von seinem Kuss und dem köstlichen Geruch, der aus der Küche drang. »Ich kenne viele Männer, die kochen, aber ich …«
»Du hast es mir nicht zugetraut«, beendete er für sie den Satz. Seine Hände lagen noch auf ihren Armen, und er nahm sie nicht weg. Ihre Haut war so herrlich weich. »Ich esse gern und habe die Nase voll von Restaurants. Außerdem habe ich schon als Kind kochen gelernt. Meine Mutter hat gearbeitet; und ich habe
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