Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
erwiderte Myra streng. »Mir scheint, es ist an der Zeit, dass Sie sich selbst ein bisschen mehr Anerkennung schenken. Aber, wie ich schon sagte, Sie haben es überstanden, und heute ist heute. Erzählen Sie mir von Ihnen und T.C.«
»Oh.« Liv senkte verdutzt den Blick auf ihren Salat. Was gab es darüber zu sagen? Sie hatte wieder etwas vermasselt.
»Offenbar gibt es keine Hoffnung mehr, dass Sie und Greg ein Paar werden.« Sie bemerkte, dass Liv lächelte, und fuhr fort. »Aber da ich ein Fan von T.C. bin, habe ich mich entschlossen, mich auch mit diesem Mann an Ihrer Seite zufrieden zu geben.«
»Ich werde nie wieder heiraten.«
»Ach, so ein Unsinn«, lachte Myra gut gelaunt. »T.C. und Sie sehen sich doch in letzter Zeit ziemlich regelmäßig, oder?«
»Ja, aber …« Liv runzelte die Stirn. Myra hatte tatsächlich ihren Beruf verfehlt.
»T.C. ist ein viel zu intelligenter Mann, um zuzulassen, dass Sie ihm verlustig gehen. Ich traue mich sogar Herberts geliebte Golfausrüstung zu verwetten, dass er bereits um Ihre Hand angehalten hat.«
»Mmm, nein. Das heißt, er hat mir prophezeit, dass ich ihn heiraten werde, aber …«
»Ja, das entspricht viel eher seinem Charakter«, stellte Myra zufrieden fest. »Das sieht ihm wirklich ähnlich. Und selbstverständlich haben Sie das strikt abgelehnt.«
»Er war so unglaublich arrogant«, erklärte Liv.
»Und er liebt Sie abgöttisch.«
Das saß. Liv starrte Myra nur verdutzt an.
»Aber, Olivia, selbst ein Blinder hätte das bei dieser kleinen Bridgerunde sehen können. Und ich besitze Adleraugen. Nun, was gedenken Sie in diesem Fall zu unternehmen?«
»Ich habe …« Liv fühlte sich plötzlich wie ein Luftballon, in den jemand ein Loch gestochen hat. »Ich hab’s vermasselt. Gestern Abend.«
Einen Moment lang studierte Myra ihr Gegenüber, ohne etwas zu sagen. Deshalb wirkte sie so durcheinander, dachte sie und tätschelte wieder ihre Hand. Es ist einfach traurig, dass Menschen ihre Zeit vergeuden, weil sie zu viel nachdenken und zu wenig handeln, dachte sie bei sich.
»Wissen Sie, Olivia, entgegen der geltenden Maxime ist das Leben nicht kurz. Im Gegenteil, es ist verdammt lang.« Sie lächelte über Livs ernsthaften Blick. »Aber bei weitem nicht lang genug. Ich bin jetzt seit fünfunddreißig Jahren Herberts Frau. Hätte ich damals auf meine Eltern gehört, Gott hab sie selig, hätte ich nie einen Mann geheiratet, der viel zu spießig, viel zu alt und viel zu karriereorientiert zu sein schien. Denken Sie nur, was mir alles entgangen wäre. Das Leben«, erklärte sie überzeugt, »ist ein paar Risiken wert. Und um meine Theorie zu untermauern«, setzte sie hinzu und lehnte sich zurück, »werde ich mir jetzt ein Zitronensorbet bestellen …«
Stunden später, als sie sich auf die Sendung vorbereitete, gingen Liv Myras Worte immer noch im Kopf herum. Es war Zeit zu handeln, entschied sie während der Sportnachrichten. Zeit damit aufzuhören, die Für und Wider immer wieder im Einzelnen zu zerpflücken. Wenn sie mit Thorpe zusammen sein wollte, musste sie ihm das sagen.
Im Anschluss an ihre Sendung ging Liv schnurstracks nach oben in Thorpes Büro. Die Empfangsdame sah sie kommen und seufzte bedauernd.
»Er ist nicht da«, teilte sie Liv mit, ohne ihre Vorbereitungen für den Feierabend zu unterbrechen. »Er macht eine Außenreportage.«
»Dann warte ich in seinem Büro«, sagte Liv und brauste an der Frau vorbei, ehe diese Einwände erheben konnte.
Was werde ich ihm überhaupt sagen?, überlegte Liv, als sie die Tür von Thorpes Büro hinter sich schloss. Was kann ich sagen? Sie lief in dem kleinen Raum auf und ab und suchte fieberhaft nach Worten.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich ohne Thorpe hier aufzuhalten. Dieser Raum hier war Thorpe. An den Wänden hingen Dutzende Fotos, die ihn an der Seite von Regierungsmitgliedern und führenden Staatsmännern zeigten. Auf allen Bildern wirkte er gleichermaßen entspannt – niemals steif oder eingeschüchtert. Er war einfach Thorpe, sinnierte Liv. Und das war genug. Auf seinem Schreibtisch herrschte das übliche Chaos, überall lagen rasch hingekritzelte Notizen herum und unter einem Briefbeschwerer türmte sich ein beachtlicher Stapel loser Blätter. Liv wandte sich der Aussicht über die Stadt zu, die das große Panoramafenster bot.
Sie konnte die Kuppel des Capitols sehen, die im Schein der untergehenden Sonne rosa schimmerte und eher an die eines Märchenschlosses erinnerte. Auf den
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